Leitsatz (amtlich)

Das familienrechtliche Kontaktaufnahmerecht eines nahen Angehörigen rechtfertigt bei fehlender Dringlichkeit keine Besitzstörung durch Eindringen in ein Wohnhaus gegen den ausdrücklich erklärten Willen eines Mitbewohners. Dies gilt auch dann, wenn ein ausdrücklich entgegenstehender Wille aller Mitbewohner nicht feststellbar ist.

 

Normenkette

BGB §§ 858-859

 

Verfahrensgang

LG Amberg (Urteil vom 01.09.2011; Aktenzeichen 21 O 1026/10)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des LG Amberg vom 1.9.2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil und das angefochtene Urteil des LG sind vorläufig vollsteckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 37.119,40 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten, ihrem Bruder, Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund eines Vorfalles vom 15.3.2008, bei dem der Beklagte gegen die Klägerin körperliche Gewalt angewendet hatte, um zu verhindern, dass die Klägerin sein Wohnhaus betritt. Der Beklagte ist Eigentümer des umfriedeten Wohnanwesens Wöhrangerstraße 2 in Schwandorf. Für die in dem Wohnhaus befindliche Wohnung im Erdgeschoss einschließlich der Terrasse besteht ein lebenslanges Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht für die Eltern der Parteien. Die Mutter der Parteien ist pflegebedürftig und wohnte zur Zeit des Vorfalles am 15.3.2008 zusammen mit ihrem Ehemann, dem Vater der Parteien, in der Erdgeschosswohnung; die übrigen Räume des Hauses wurden vom Beklagten und seiner Familie bewohnt. Die Erdgeschosswohnung und die übrigen Wohnräume sind durch ein gemeinsames Treppenhaus zu erreichen. Zum damaligen Zeitpunkt wurde die Mutter der Parteien mehrmals täglich von einem professionellen Pflegedienst versorgt.

Aufgrund Streitigkeiten zwischen den Parteien erteilte der Beklagte der Klägerin ein Hausverbot. Mit Anwaltsschriftsatz vom 21.2.2008, zugestellt am selben Tag, erteilte auch der Vater der Parteien der Klägerin ein schriftliches Hausverbot und forderte sie auf, den Schlüssel für die Haustüre des Wohnhauses herauszugeben (vgl. Bl. 76 der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Amberg, Az. 108 Js 1241/08).

Nachdem die Klägerin am 23.2.2008 erneut die Erdgeschosswohnung betreten hatte, stellte der Vater der Parteien mit Anwaltsschriftsatz vom 26.2.2008 Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs (vgl. Bl 74d. Ermittlungsakte). Die Klägerin wurde zu dem Tatvorwurf am 10.3.2008 polizeilich vernommen (vgl. Bl. 88d. Ermittlungsakte). Nachdem die Klägerin den in ihrem Besitz befindlichen Haustürschlüssel nicht zurückgab, ließ der Beklagte das Schloss an der Haustüre auswechseln.

Am Nachmittag des 15.3.2008 wollte die Klägerin erneut die Mutter der Parteien aufsuchen. Als sie merkte, dass sie die Haustüre mit dem in ihrem Besitz verbliebenen Schlüssel nicht mehr aufschließen konnte, läutete sie an den Wohnungen des Beklagten und der Eltern, jedoch wurde ihr die Haustüre nicht geöffnet. Die Klägerin ging daraufhin um das Haus herum auf die Terrasse und sah durch die Terrassenglastüre ihren Vater und den Beklagten im Inneren des Hauses, die jedoch auf die Aufforderung der Klägerin hin auch die Terrassentüre nicht öffneten. Als ein Pflegedienstmitarbeiter kam, der die Mutter der Parteien pflegen wollte, öffnete der Beklagte die Haustüre, um diesen hereinzulassen, äußerte aber gegenüber der Klägerin, dass sie draußen bleiben müsse. Als der Pfleger daraufhin das Haus betrat, wollte die Klägerin diesem folgen, was der Beklagte, als die Klägerin im Begriff war, über die Türschwelle zu treten, durch Einsatz körperlicher Gewalt verhinderte, indem er sie mit den Händen zurückstieß. Die Klägerin stürzte dadurch und zog sich Verletzungen zu.

Die Klägerin trägt vor, der Haustürschlüssel sei ihr von ihrem Vater überlassen worden. Das vom Vater ausgesprochene Hausverbot sei lediglich auf Druck des Beklagten zustande gekommen. Sie habe sich über das Hausverbot des Beklagten hinweggesetzt, um ihre pflegebedürftige Mutter zu pflegen. Als sie über die Türschwelle habe treten wollen, habe sie der Beklagte mit voller Wucht den Treppenaufgang hinabgeworfen. Durch den Sturz sei sie gegen einen Holzbalken des Vordaches der Haustüre gestoßen und mit der rechten Schulter und rechten Beckenseite auf der Treppe aufgeschlagen. Hierbei habe sie sich erhebliche Verletzungen zugezogen und sei zeitweise verdienstunfähig gewesen. Die Klägerin hält hierfür ein Schmerzensgeld i.H.v. 30.000 EUR für angemessen.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt:

I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klä...

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