Entscheidungsstichwort (Thema)
Streit um eine Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung: Inhaltliche Anforderungen an die Begründung einer Beitragserhöhung; Anspruch auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Begründung der Beitragserhöhung erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Anzugeben ist auch, dass die Veränderung den maßgeblichen Schwellenwert überschritten hat. Insgesamt dient das Begründungserfordernis nicht der Plausibilitätskontrolle durch den Versicherungsnehmer. Dabei genügt es, wenn sich die erforderliche Begründung aus einer Zusammenschau aller dem Versicherungsnehmer übersandten Unterlagen ergibt. (Rn. 14)
2. Die konkrete Angabe eines Schwellenwertes ist nicht erforderlich, solange der Versicherungsnehmer erkennen kann, dass eine deutliche Abweichung zur Prämienanpassung geführt hat (vgl. OLG Hamm, 1. Dezember 2021, 20 U 285/21). (Rn. 18)
3. Der Versicherungsnehmer hat darzulegen und ggfs. zu beweisen, dass er seinen Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit seiner außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder ihm einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt hat (vgl. OLG Dresden, 15. Februar 2022, 4 U 1672/21). (Rn. 30)
4. Hat der Versicherungsnehmer von vornherein nicht mit einer freiwilligen Leistung rechnen können, ist der Schuldner bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig; insoweit kommt es auf die (Gesamt-)Umstände des Einzelfalls an, deren Würdigung dem Tatgericht obliegt (vgl. BGH, 25. April 2022, Via ZR 524/21). (Rn. 35)
Normenkette
BGB § 249 Abs. 2 S. 1, § 280 Abs. 1 S. 2; VVG § 203 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
Verfahrensgang
LG Weiden i.d.OPf. (Beschluss vom 07.11.2022; Aktenzeichen 21 O 235/22 Ver) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Weiden i.d. OPf. vom 07.11.2022, Az. 21 O 235/22 Ver, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.042,14 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2022 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben der Kläger 95 % und die Beklagte 5 % zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.257,76 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Beitragserhöhungen im Rahmen einer zwischen ihnen bestehenden privaten Krankenversicherung sowie über hieraus folgende bereicherungsrechtliche Erstattungsansprüche.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Erstinstanzlich hat der Kläger zuletzt die Feststellung der Unwirksamkeit von mehreren Prämienanpassungen aus dem Zeitraum 2012 bis 2021 begehrt und hieraus einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 2.661,87 EUR geltend gemacht.
Das Landgericht hat der Klage nur insoweit stattgegeben, als es die Beklagte zur Zahlung von 2.299,90 EUR zzgl. Zinsen in der Hauptsache und zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 367,23 EUR verurteilt hat. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
Gegen diesen konkreten Umfang der Verurteilung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie beantragt,
unter Abänderung des Urteils des LG Weiden vom 07.11.2022 - 21 O 235/22 - die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte zur Zahlung eines Betrags von mehr als 1.042,14 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2022 verurteilt wurde.
Der Kläger nimmt die Teil-Klageabweisung hin.
Nach Zustimmung der Parteien hat der Senat mit Beschluss vom 03.04.2023 angeordnet, dass ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren zu entscheiden ist.
Von der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO).
II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Sie führt antragsgemäß zur Neufassung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.
Zur kurzen Begründung für die Abänderung der angefochtenen Entscheidung (vgl. § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) wird ausgeführt:
1. Zu Recht moniert die Berufung einen Rechenfehler des Erstgerichts bei der Ermittlung der Höhe des "kondizierbaren" Betrages aus der unwirksamen Erhöhung zum 01.01.2017 (LGU 12). Das Sechsfache des Monatsbetrags von 59,42 EUR ergibt 356,52 EUR und nicht 456,52 EUR.
2. Auch soweit die Berufung der Beklagten die vom Landgericht seinem Urteil zugrunde gelegte Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen der Jahre 2014 (LGU 9-10), 2015 (LGU 11), 2020 und 2021 (LGU 11) angreift, ist das Rechtsmittel begründet.
a) Die inhaltlichen Anfo...