Leitsatz (amtlich)
Der fensterrechtliche Anspruch gemäß Art. 43 BayAGBGB kann eingeschränkt werden, wenn sich seine Geltendmachung nach den konkreten Umständen als treuwidrig gemäß § 242 BGB darstellt.
Normenkette
BayAGBGB Art. 43; BGB § 242
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 18.08.2022; Aktenzeichen 14 O 6102/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18.08.2022, Az. 14 O 6102/21, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger und Berufungsbeklagte.
3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger und Berufungsbeklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um nachbarrechtliche Ansprüche in Bezug auf Fenster.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. 21/1 der Gemarkung S. (S. Straße 233 b, N.).
Die Beklagten sind gemeinsam Miteigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. 21/3 der Gemarkung S. (S. Straße 229) und zugleich gemeinsam zu je ½ Sondereigentümer der Wohnung Nr. 6 laut Aufteilungsplan der auf dem Grundstück befindlichen Wohnungseigentumsanlage.
Zur Veranschaulichung der Lage der beiden Grundstücke zueinander wird auf Bl. 5 d.A. Bezug genommen.
Das von den Beklagten bewohnte Gebäude besteht seit dem Jahr 1730. Beide Grundstücke waren zunächst Teil eines größeren Grundstücks, das im Jahr 2000 (Bl. 45, 219) geteilt wurde. Die Grenze zwischen den Grundstücken Fl.-Nr. 21/1 und Fl.-Nr. 21/3 verläuft nun entlang der Süd-West-Fassade des von den Beklagten bewohnten Gebäudeflügels.
Vier Fenster im unteren Geschoss (in der Akte teilweise auch als Untergeschoss bezeichnet) der von den Beklagten bewohnten Maisonette-Wohnung befinden sich in der genannten Fassade, die entlang der Grundstücksgrenze verläuft. Ebenfalls in der Fassade befindet sich im darüber liegenden Geschoss (in der Akte teilweise auch "Erdgeschoss" bezeichnet) ein weiteres Fenster mit anschließendem Balkon, welches ebenfalls zur Wohnung der Beklagten gehört (vgl. Lichtbild, Blatt 109, und Anlage B7).
Im Rahmen der bauordnungsrechtlichen Genehmigung baulicher Veränderungen der Gebäude im Jahr 2004 auf den streitgegenständlichen Grundstücken übernahm der Voreigentümer des Grundstücks des Klägers Abstandsflächen in einer Tiefe von 13,55 m.
Auf dem Grundstück des Klägers wurde im Jahr 2017 ein Einfamilienhaus erbaut. In den Jahre 2018/19 erwarben die Beklagten das Wohneigentum an ihrer vorgenannten Wohnung. Der Kläger erwarb sein Grundstück im Jahr 2019.
Im März 2020 erneuerten die Beklagten die Fenster ihrer Wohnung und vergrößerten dabei die Fensteröffnungen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, sämtliche der dem Grundstück Fl-Nr. 21/1 der Gemarkung S. zugewandten Fenster und sonstige Lichtöffnungen jeder Art der Wohnung Nr. 6 des Grundstücks Fl-Nr. 21/3 der Gemarkung S. so einzurichten und zu unterhalten, dass bis zur Höhe von 1,80 m über dem dahinter befindlichen Boden ein Öffnen der Fenster und Lichtöffnungen nicht möglich ist.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, sämtliche der dem Grundstück Fl-Nr. 21/1 der Gemarkung S. zugewandten Fenster und sonstige Lichtöffnungen jeder Art der Wohnung Nr. 6 des Grundstücks Fl-Nr. 21/3 der Gemarkung S. so einzurichten und zu unterhalten, dass bis zur Höhe von 1,80 m über dem dahinter befindlichen Boden ein Durchblicken durch die Fenster und Lichtöffnungen nicht möglich ist.
3. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger EUR 402,40 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagten haben erstinstanzlich zunächst vorgetragen, bei den streitgegenständlichen Fenstern handele es sich um die einzigen Fenster ihrer Wohnung (Bl. 26, 114). Diese habe Fenster lediglich in eine Richtung. Licht und Luft könne daher bei Durchsetzung des klägerischen Anspruchs nicht mehr in die Wohnung geführt werden.
Die Beklagten haben in erster Instanz argumentiert, sie seien nicht passivlegitimiert, da die Fenster im Gemeinschaftseigentum der WEG stünden und sie selbst insoweit lediglich ein Nutzungsrecht an den Innenräumen hätten.
Der Anspruch sei bereits ausgeschlossen, weil die Fenster vor Inkrafttreten des AGBGB gem. Art. 45 Abs. 2 BayAGBGB genehmigt bzw. schon seit 1730 vorhanden gewesen seien (Bl. 24). Die von den Beklagten bewohnte Immobilie genieße insoweit Bestandsschutz.
Aufgrund der Übernahme öffentlich-rechtlicher Abstandsflächen durch den Rechtsvorgänger des Klägers im Zuge der baulichen Veränderungen im Jahre 2004 habe der fensterrechtliche Anspruch aus Art. 43 BayAGBGB nicht entstehen können.
Die Geltendmachung des F...