Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Die Anwendung des § 59 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist zwar nicht auf ganz besondere

    Konfliktlagen oder Fälle beschränkt, die durch eine notwehr- oder notstandsähnliche Situation in den Grenzbereich zur Straflosigkeit gerückt werden.

  • 2.

    Einfache Strafmilderungsgründe und das bloße Fehlen von Strafschärfungsgründen sind allerdings - für sich allein - keine "besonderen Umstände" im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 2 StGB, die die Ahndung eines Vergehens durch eine Verwarnung mit Strafvorbehalt als ausreichend erscheinen lassen können.

  • 3.

    Ein langfristig angelegter, systematischer Missbrauch des staatlichen Förderungssystems nach dem BAföG, durch den ein (fremdnütziger) Betrugsschaden in Höhe von EUR 24.822,81 über einem Zeitraum von vier Jahren entsteht, kann unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 StGB) eine bloße Verwarnung mit Strafvorbehalt ausschließen.

 

Tenor

  • I.

    Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts A vom 27. April 2006 mit den dem Rechtsfolgenausspruch zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

  • II.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts A zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht A hat den Angeklagten am 10.1.2006 wegen Betrugs in fünf Fällen verwarnt und die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je EUR 30,- vorbehalten.

Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht A am 27.4.2006 verworfen.

Mit ihrer Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 SPO) und hat mit der Sachrüge Erfolg.

Die dem Senat nach wirksam erfolgter Beschränkung der Berufung allein zugängliche Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs ergibt, dass dieser rechtsfehlerhaft ist.

1.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden.

a)

Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorausgegangenen amtsgerichtlichen Urteils befunden hat.

Grundsätzlich ist der Rechtsfolgenausspruch allein anfechtbar. Das gilt jedoch nur dann, wenn die Schuldfeststellungen eine ausreichende Grundlage für die Strafzumessung ergeben. Sind sie dagegen so dürftig, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat, zu dem insbesondere der Schuldumfang (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) zählt, nicht einmal in groben Zügen erkennen lassen, so ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (stRspr. des Senats, vgl. Beschl. v. 15.3.2005 - 2 St OLG Ss 13/05 -, S. 2 f.).

b)

Die vom Landgericht als bindend seiner Entscheidung über den Strafausspruch zu Grunde gelegten Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils sind zwar teils unklar und widersprüchlich (Bl. 105 d.A. = UA S. 3 Ziff. II. 1: "wobei der Angeklagte angab, über kein Vermögen zu verfügen"; Bl. 106 d.A. = UA S. 4 Ziff. II. 2: "Schaden in dieser Höhe ist nicht entstanden"). Es handelt sich dabei aber im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe und der durch das Landgericht getroffenen ergänzenden Feststellungen um offensichtliche - und damit unschädliche (vgl. BGHSt 5, 5, 8; BGHSt 25, 333, 336 m.w.N.) - Schreibversehen.

Bei dieser Sachlage ist die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam.

2.

Die Strafzumessungsentscheidung des Landgerichts ist aber nicht frei von Rechtsfehlern. Die vom Landgericht angestellten Strafzumessungserwägungen tragen die Verwarnung mit Strafvorbehalt nicht.

a)

Die Strafzumessung ist ureigene Sache des Tatrichters. Auch im Rahmen der Entscheidung über die Verwarnung mit Strafvorbehalt ist es in erster Linie Aufgabe des Tatrichters, die Prognose nach § 59 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu treffen und über die Frage zu befinden, ob die Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten besondere Umstände ergibt, nach denen es angezeigt ist, ihn von der Verurteilung zu Strafe zu verschonen (§ 59 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder ob nicht die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe gebietet (§ 59 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

Das Revisionsgericht hat aber zu prüfen, ob der Entscheidung des Tatrichters unrichtige Argumente zugrunde liegen, sowie, ob sie sich im Rahmen dessen bewegt, was nach den zugrunde liegenden Feststellungen vertretbar ist (vgl. BayObLG NJW 1990, 58). Die Zubilligung einer Verwarnung mit Strafvorbehalt erfordert daher eine in jeder Hinsicht für das Revisionsgericht nachprüfbare sorgfältige Begründung sowohl bezüglich des Ausnahmecharakters als auch zu der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Verurteilung zu Strafe gebietet (KG Urt. v. 25.6.2001 - 1 Ss 92/01).

b)

Daran fehlt es hier.

aa)

Das Landgericht hat dem sozial voll integrierten, nicht vorbestraften und von Anfang an geständigen Angeklagten rechtsfehlerfrei eine günstige Sozialprognose i. S.d. § 59 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestell...

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