Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfall bei Bedienen eines Autoradios
Leitsatz (amtlich)
Gerät ein Pkw bei der Einfahrt in eine Ortschaft auf eine die Fahrbahn teilende Verkehrsinsel, weil der mit ca. 50 km/h fahrende Versicherungsnehmer durch die Bedienung des Autoradios abgelenkt war, kann sich der Versicherer dann nicht auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls berufen, wenn weitere Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Versicherungsnehmer oder für eine gesteigerte Gefahrenlage nicht feststellbar sind.
Normenkette
VVG § 61
Verfahrensgang
LG Regensburg (Urteil vom 27.10.2004; Aktenzeichen 3 O 1679/04) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des LG Regensburg vom 27.10.2004 abgeändert.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.403,20 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.4.2004 zu zahlen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 15.403,20 EUR.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO).
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers (§§ 511 ff. ZPO) hat in der Sache auch Erfolg.
Die Beklagte ist aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages über eine Fahrzeugvollversicherung verpflichtet, dem Kläger Ersatz für die Reparatur der Schäden an seinem Pkw zu ersetzen, die dadurch entstanden sind, dass der Kläger am 1.2.2004 auf eine in Fahrbahnmitte befindliche Verkehrsinsel aufgefahren ist (§ 1 Abs. 1 VVG i.V.m. § 12 (1) II.h), § 13 (1) AKB 2001). Die Beklagte ist entgegen der Auffassung des LG nicht gem. § 61 VVG von ihrer Leistungspflicht frei geworden.
Eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger, wofür die Beklagte beweispflichtig ist, lässt sich nicht feststellen. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und auch subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt voraus; diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenem Fall jedem hätte einleuchten müssen. Die Entscheidung hierüber ist unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles zu treffen (BGH v. 8.2.1989 - IVa ZR 57/88, MDR 1989, 617 = NJW 1989, 1354).
1. Nach Auffassung der Beklagten handelte der Kläger grob fahrlässig: Für das Befahren des übersichtlichen Straßenstücks von 120 Metern vor der Verkehrsinsel habe dieser bei der von ihm angegebenen Geschwindigkeit von 50 km/h ca. 8,6 Sekunden benötigt. In dieser Zeit habe er offensichtlich die Fahrbahn nicht beobachtet, da er sonst nicht auf die Verkehrsinsel aufgefahren wäre.
Dem kann nicht gefolgt werden.
Für den Nachweis der groben Fahrlässigkeit sind die Regeln des Anscheinsbeweises nicht anwendbar; allein aus der Tatsache des Unfalls kann deshalb nicht geschlossen werden, dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt hat. Insbesondere lässt sich aus dem Umstand des Auffahrens auf die Verkehrsinsel nicht schließen, dass der Kläger während des gesamten Zeitraums, den er zum Durchfahren der übersichtlichen Strecke benötigte, die Fahrbahn nicht im Blick behielt; es lässt sich nicht ausschließen, dass nur eine momentane Unaufmerksamkeit kurz vor der Verkehrsinsel zum Auffahren des Klägers geführt hat. Eine derartige kurzzeitige Ablenkung, die nahezu alltäglich vorkommt, kann zwar den Vorwurf eines fahrlässig begangenen Fahrfehlers rechtfertigen, aber nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit; die im Verkehr erforderliche Sorgfalt wurde dadurch nicht in ungewöhnlich hohen Maße verletzt.
2. Selbst wenn man entsprechend der Erklärung des Klägers in dem von ihm unterzeichneten Schreiben an die Beklagte vom 8.3.2004 davon ausgeht, dass er vor dem Unfall "durch die Bedienung des Radios abgelenkt" wurde, kann nicht angenommen werden, der Kläger habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.
Daraus lässt sich nämlich nicht herleiten, dass der Kläger den Blick erhebliche Zeit von der Fahrbahn abgewendet hat. Vorübergehende Unaufmerksamkeiten, also auch die kurzfristige Ablenkung durch das Bedienen des Radios, kann jedoch nicht zum Verlust des Versicherungsschutzes führen; damit würde die Vollkaskoversicherung ihren Sinn und Zweck verlieren.
Eine Sachlage, wie sie der Entscheidung des OLG Nürnberg (OLG Nürnberg v. 25.10.1990 - 8 U 1458/90, NJW-RR 1992, 360) zugrunde lag, nämlich dass der Versicherungsnehmer längerfristig - im dortigen Fall ca. 5 Sekunden - wegen der Bedienung seines Kassettenrekorders die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt nicht aufwandte, hat die Beklagte im vorliegenden Fall gerade nicht nachgewiesen.
Da - wie dargelegt - für den Nachweis der groben Fahrlässigkeit die Regeln des Anscheinsbeweises nicht anwendbar sind, kann entgegen der Auffassung des LG nicht davon ausgegangen werden, dass "es nach der Lebenserfahru...