Leitsatz (amtlich)
1. Ist zu erwarten, dass die Bank im Falle des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrags ihre die Ansprüche des Verbrauchers rechnerisch übersteigenden Ansprüche auf Herausgabe der gesamten Darlehensvaluta ohne Rücksicht auf eine (Teil-)Tilgung sowie auf Herausgabe von Wertersatz für Gebrauchsvorteile am jeweils tatsächlich noch überlassenen Teil der Darlehensvaluta (vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2015 - XI ZR 116/15, juris Rn. 7) geltend machen wird, kann dem Verbraucher in der Regel nicht zugemutet werden, die Last der weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht gänzlich unproblematischen Berechnung eigener Ansprüche zu übernehmen und im Wege der Zahlungsklage einen Rechtsstreit zu beginnen, an dessen Ende nicht die beantragte Verurteilung der Bank zu einer Leistung stehen wird. Die Möglichkeit der Leistungsklage beseitigt deshalb in solchen Fällen in der Regel nicht das Interesse des Verbrauchers an der gerichtlichen Feststellung (§ 256 I ZPO), dass der Darlehensvertrag durch den Widerruf in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt worden ist.
2. Dem Eintritt der "Gesetzlichkeitsfiktion" des Art. 247 § 6 II 3 EGBGB steht nicht entgegen, dass eine Widerrufsinformation in einem Verbraucherdarlehensvertrag, die dem Formular-Nr. 192 643.000 (Fassung Nov. 2011) - 0570 222.11 (V3) des Deutschen Sparkassenverlags (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2016 - XI ZR 549/14, juris Rn. 1) entspricht, Ankreuzoptionen enthält. Die Gestaltung als "Baukastenformular" stellt keine inhaltliche Bearbeitung des gesetzlichen Musters dar.
3. Die Integration von Gestaltungshinweisen aus der Anlage 6 zu Artikel 247 § 6 II EGBGB in den Text der Widerrufsinformation stellt jedenfalls dann keine inhaltliche Bearbeitung des Musters dar, wenn für den normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher erkennbar ist, dass es sich bei den jeweiligen Textabschnitten um nicht für ihn, sondern für Mitarbeiter des Unternehmers bestimmte Handlungsanweisungen oder Informationen handelt.
4. Zum Erfordernis einer hervorgehobenen und deutlich gestalteten Form im Sinne des Artikel 247 § 6 II 3 EGBGB.
Normenkette
EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 2; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 27.04.2015; Aktenzeichen 6 O 6943/14) |
Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 27.04.2015 wird zurückgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des LG Nürnberg-Fürth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs eines Darlehensvertrags.
Die Kläger vereinbarten mit der Beklagten am 07.05.2012 zur Finanzierung des Erwerbs einer selbstgenutzten Immobilie ein durch eine Grundschuld abzusicherndes Darlehen mit anfänglich gebundenem Sollzins über einen Nennbetrag von 300.000,00 EUR. Die bis zum 30.03.2022 unveränderliche Verzinsung betrug nominal 3,08 %. Die Tilgung sollte durch monatliche Raten in Höhe von 1 % jährlich zuzüglich der durch die Rückzahlung ersparten Sollzinsen erfolgen. Die jährliche Leistungsrate (Zinsen und Tilgung) betrug 12.240,00 EUR. Sie war in jeweils am Monatsende fälligen Teilbeträgen in Höhe von 1.020,00 EUR zu erbringen. Die Kläger nahmen den Darlehensbetrag am 21.06.2012 vollständig in Anspruch. Die Beklagte zog die vereinbarten monatlichen Leistungsraten ab 31.07.2012 ein. Wegen der Inhalte der im schriftlichen Darlehensvertrag in Abschnitt "14 Widerruf" enthaltenen Widerrufsinformation und deren Gestaltung wird auf die Anlage K1 Bezug genommen.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18.08.2014 (Anlage K2) erklärten die Kläger den Widerruf sämtlicher auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen und forderten die Rückerstattung überzahlter Zinsen.
Die Kläger haben die Auffassung vertreten, der Widerruf des Darlehensvertrags sei wirksam und sie hätten an die Beklagte 1.163,52 EUR zu viel an Zinsen entrichtet.
Die Kläger haben beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien am 25.04./07.05.2012 geschlossene Darlehensvertrag Nr. 600.425.0061 mit dem ursprünglichen Darlehensnennbetrag EUR 300.000,00 durch das Widerrufsschreiben vom 18.08.2014 widerrufen ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger EUR 1.163,52 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins p.a. seit 01.10.2014 zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte den Klägern sämtliche Schäden zu ersetzen hat, die daraus resultieren, dass die Beklagte den in Klageantrag Ziffer 1 näher bezeichneten Widerruf nicht anerka...