Leitsatz (amtlich)
Die Angaben in ärztlichen Aufklärungsgesprächen und in standardisierten Auf-klärungsbögen zur Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Komplikationen (Komplikationsdichte) haben sich an der Häufigkeitsdefinition des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA), die in Medikamenten-Beipackzetteln Verwendung findet, zu orientieren. Eine hiervon abweichende Verwendung der Risikobeschreibungen (selten, sehr selten etc.) kann eine verharmlosende Risikoaufklärung darstellen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 280
Verfahrensgang
LG Amberg (Aktenzeichen 22 O 585/12) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des LG Amberg abgeändert und wie folgt gefasst:
1. Die Beklagten zu 1), zu 2) und zu 4) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin Schmerzensgeld i.H.v. 25.000 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 9.5.2012 - soweit der Beklagte zu 1) verurteilt wird - seit 8.8.2012 - soweit der Beklagte zu 2) verurteilt wird - bzw. seit 30.8.2012 - soweit der Beklagte zu 4) verurteilt wird - zu bezahlen, darüber hinaus einen Betrag von 2.772,41 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.5.2012 - Beklagter zu 1) - bzw. seit 8.8.2012 - Beklagter zu 2) - bzw. seit 30.8.2012 - Beklagter zu 4) -, sowie einen Betrag von 1.827,84 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8.8.2012 - Beklagter zu 1) und zu 2) - bzw. seit 30.8.2012 - Beklagter zu 4).
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1), zu 2) und zu 4) gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen Schäden zu ersetzen, die dieser in Folge der Operation an der linken Hüfte am 11.4.2011 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Gerichtskosten beider Rechtszüge haben die Beklagten zu 1), zu 2) und zu 4) als Gesamtschuldner zu 3/4 zu tragen, im Übrigen trägt sie die Klägerin.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 3). Die Beklagten zu 1), zu 2) und zu 4) tragen die außergerichtlichen Kosten der Klägerin gesamtschuldnerisch zu 3/4.
Im Übrigen werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 79.929,09 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Trägerin der orthopädischen Klinik B ..., den Chefarzt der orthopädischen Abteilung als Operateur sowie die an der streitgegenständlichen Operation beteiligten Assistenten auf Schadensersatz in Anspruch, weil bei einer am 11.4.2011 durchgeführten Hüftprothesen - Wechseloperation Behandlungsfehler unterlaufen seien und es auch an der erforderlichen Risikoaufklärung gefehlt habe.
Die Klägerin hatte etwa 10 Jahre vor dem streitgegenständlichen Eingriff linksseitig ein künstliches Hüftgelenk (Totalendoprothese) erhalten; etwa 1 1/2 Jahre vor dem streitgegenständlichen Eingriff war entweder das rechte Hüftgelenk ebenfalls durch eine Prothese ersetzt worden oder es war dort ein Prothesenwechsel erfolgt.
Im März 2011 stellte sich die Klägerin dem Chefarzt der orthopädischen Abteilung der Beklagten zu 1), dem Beklagten zu 2), vor, weil sie seit geraumer Zeit unter Beschwerden im Bereich der linken Hüfte litt; eine klinische Untersuchung ergab zwar eine gute Beweglichkeit ohne wesentliche Schmerzhaftigkeit, jedoch wurde durch Röntgenaufnahmen eine Dezentrierung des Femurkopfes in der Pfanne im Sinne einer Polyäthylenabrieberkrankung festgestellt, weshalb der Klägerin eine Prothesenwechseloperation empfohlen wurde. In dem mit dem Beklagten zu 2) geführten Vorgespräch war allerdings nur von einem Wechsel des Hüftkopfes die Rede. Da die Klägerin unter einer endgradigen Fußheberschwäche rechts litt (möglicherweise auf Grund eines Bandscheibenvorfalles), sprach sie gegenüber dem Beklagten zu 2) die Möglichkeit einer Nervschädigung bei dem beabsichtigten Eingriff an, wurde aber vom Beklagten zu 2) dahin beruhigt, dass die betreffenden Nerven nicht im Operationsgebiet lägen und deshalb nicht gefährdet seien. Am 8.4.2011 erteilte die Klägerin schriftlich ihre Einwilligung in die für den 11.4.2011 vorgesehene Operation auf einem standardisierten Aufklärungsbogen für den "Wechsel einer Hüftgelenkendoprothese". Dieser Aufklärungsbogen enthält eine Aufzählung möglicher Komplikationen; genannt werden auch "sehr selten Nervenverletzungen, die trotz operativer Behandlung (Nervennaht) dauerhafte Störungen wie z.B. eine Teillähmung des Beines verursachen können". Das Auf...