Leitsatz (amtlich)
Das in der 3. EU-Führerscheinrichtlinie für das Vorliegen eines am Ausstellungsort der Fahrerlaubnis bestehenden ordentlichen Wohnsitzes aufgestellte Erfordernis, mindestens 185 Tage im Kalenderjahr an diesem Ort zu wohnen, kann auch erfüllt sein, wenn ein zusammenhängender Zeitraum von 185 Tagen zum Ausstellungszeitpunkt im Kalenderjahr selbst noch nicht verstrichen ist, jedoch dieser entweder in der Folgezeit erreicht wird oder aber sich ein solcher unter Berücksichtigung eines bereits im Vorjahr verstrichenen Zeitraumes ergibt.
Normenkette
StVG § 21; FeV § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2; EGRL 126/2006 Art. 12
Verfahrensgang
AG Cloppenburg (Entscheidung vom 21.06.2018; Aktenzeichen 3 Cs 75/18) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 21. Juni 2018mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Angeklagten aufrechterhalten.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Cloppenburg zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.
Gründe
Das Amtsgericht Cloppenburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 21. Juni 2018 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Zubilligung einer Ratenzahlung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 70 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von sechs Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und beantragt, das Urteil in vollem Umfang aufzuheben.
Das Rechtsmittel hat mit der allein erhobenen Sachrüge Erfolg.
1.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Angeklagte nicht im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis. Am 27. Januar 2014 war ihm von der Gemeinde S.../Polen eine polnische Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt worden, auf der unter Ziffer 8 als Wohnort eine Anschrift in Polen angegeben ist, nämlich "...S..., Z......". Am 2. November 2017 gegen 12:12 Uhr befuhr der Angeklagte mit dem PKW S..., amtliches Kennzeichen..., in L... die Bundesautobahn 1 bei Kilometer 245,790 in Fahrtrichtung D... und geriet dabei in eine Abstandsmessung.
Das Amtsgericht ist der Auffassung, dass die polnische Fahrerlaubnis den Angeklagten nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt habe, was er hätte erkennen können und müssen.
Vor der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis habe der Angeklagte nicht die nach Art. 12 der EU-Richtlinie 2006/126/EG ("3. EU-Führerscheinrichtlinie") erforderlichen 185 Tage des Kalenderjahres in Polen gewohnt, was sich aus dem polnischen Führerschein selbst ergebe. Denn der Ausstellungstag des Führerscheins sei der 27. Januar 2014. Der Angeklagte habe damit nur 27 und nicht 185 Tage des Kalenderjahres 2014 in Polen gewohnt. Somit ergebe sich aus den im Führerschein selbst enthaltenen Informationen in Verbindung mit den Mitteilungen des Einwohnermeldeamtes der Stadt C... vom 15. Mai 2018, wonach der Angeklagte vom 1. August 2010 bis zum 2. Januar 2014 durchgängig und seit dem 3. März 2014 bis jedenfalls zum 15. Mai 2018 an seiner Wohnanschrift in der G... ... in C... gemeldet und in den 61 Tagen vom 2. Januar 2014 bis zum 3. März 2014 nach S... in Polen abgemeldet gewesen sei, dass das Erfordernis des Wohnsitzes gemäß Art. 7 Abs. 1 lit e. der 3. EU-Führerscheinrichtlinie nicht eingehalten worden sei. Gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV sei der Angeklagte deshalb abweichend von § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV nicht berechtigt gewesen, in der Bundesrepublik Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinen Urteilen zum sog. Führerscheintourismus wiederholt bekräftigt, dass nur unter engen und abschließend bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vom gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von Mitgliedsstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse gemacht werden dürfen, und betont, die Prüfungshoheit insbesondere der Eignungsvoraussetzungen und des Wohnsitzerfordernisses liege allein beim Ausstellerstaat. Dies gelte selbst dann, wenn der die Fahrerlaubnis ausstellende Staat nicht dieselben Eignungsanforderungen stelle, wie sie der Aufnahmemitgliedstaat vorsehe (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008, C-329/06 u. a., 1. Leitsatz). Die vom EuGH aufgestellten Ausnahmen vom Grundsatz der Anerkennungspflicht beziehen sich abschließend auf solche Fälle, in denen der Ausstellerstaat entweder selbst die Erfordernisse missachtet hat, weil er einen Führerschein ausgestellt hat, aus dem sich bereits der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ergibt, oder zumindest über Informationen verfügt, die unbestreitbar den Nachweis für eine Missachtung liefern (vgl. auch Senatsentscheidung v. 11.03.2013, 1 Ss 222/12, betr. Geständnis). Erst wenn eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist,...