Leitsatz (amtlich)
Für die Entscheidung von Streitigkeiten über Zahlungs- bzw. Rückzahlungsansprüche aus Gaslieferungsverträgen mit Normsonderkunden besteht keine Sonderzuständigkeit der Kammern für Handelssachen nach § 102 EnWG.
Verfahrensgang
LG Aurich (Aktenzeichen 6 O 1633/08) |
Tenor
Zuständig ist das AG Norden.
Gründe
I. Der Kläger verlangt von dem beklagten regionalen Gasversorgungsunternehmen die Rückzahlung von 2.383,12 EUR, die ihm in der Zeit vom 1.9.2004 bis zum 10.9.2008 seiner Meinung nach ohne rechtlichen Grund zuviel in Rechnung gestellt worden sind. Da er nicht Tarif- sondern Sondervertragskunde sei, ergebe sich ein einseitiges Preisänderungsrecht nicht aus den gesetzlichen Regelungen der AVBGasV bzw. GasGVV, sondern bedürfe einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung. Bereits hieran fehle es. Aber selbst wenn die Beklagte die gesetzliche Regelung formell wirksam einbezogen hätte, halte die Preisänderungsklausel einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht stand. Vorprozessual hat der Kläger weiter bestritten, dass die von der Beklagten durch einseitige Preiserhöhungen festgesetzten Preise der Billigkeit nach dem Maßstab des § 315 BGB entsprächen.
Die Kammer für Handelssachen des LG Aurich hat sich für sachlich unzuständig erklärt und die Sache an das AG Norden verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt.
II. Das OLG Oldenburg ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen. Verschiedene Gerichte, nämlich das LG Aurich und das AG Norden, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, haben sich "rechtskräftig" für unzuständig erklärt. Auf Seiten des LG Aurich ist dies durch unanfechtbaren Beschluss geschehen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), auf Seiten des AG Norden durch die eine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung, die sachlich als Rückverweisung anzusehen ist und als solche den Anforderungen genügt, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" des § 36 Abs. 1 Nr. 6 zu stellen sind (vgl. BGH NJW 1988, 1794 [1795 m.w.N.]).
III. Sachlich zuständig ist das AG Norden, weil es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem Streitwert bis zu 5.000 EUR handelt, für die keine besondere Zuständigkeit gegeben ist (§ 23 Abs. 1 GVG).
§ 102 Abs. 1 EnWG steht nicht entgegen.
Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem Energiewirtschaftsgesetz ergeben, die LG ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig. Eine Rechtsstreitigkeit in diesem Sinne liegt bei einer Leistungsklage nur dann vor, wenn diese auf eine Norm des Energiewirtschaftsgesetzes als Anspruchsgrundlage gestützt wird.
Die ausschließliche Zuständigkeit der LG besteht nach Satz 2 der Vorschrift weiter dann, wenn die Entscheidung eines bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffen ist. Hierfür muss sie von einer Vorfrage abhängig sein, die - wäre sie Hauptfrage - unter § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG fiele. Nicht ausreichend ist es, wenn in die Streitentscheidung lediglich allgemeine Wertungsmaßstäbe einfließen, die in anderem Zusammenhang auch im Energiewirtschaftsrecht Berücksichtigung finden können, ohne dass eine konkrete energiewirtschaftsrechtliche Vorfrage aufgeworfen wird (OLG München OLGReport München 2009, 757).
Keine dieser Alternativen liegt bei einem Streit um Zahlungs- bzw. Rückzahlungsansprüche aus einem Normsondervertrag vor.
1. Eine Anwendung von § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG scheidet aus, weil Normen des EnWG als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht kommen. Die Parteien streiten über die Berechtigung der Auffassung des Versorgungsunternehmens, auf Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages - und nicht aufgrund einer sich aus dem EnWG ergebenden Rechtsbeziehung - einseitig Preiserhöhungen durchsetzen zu können. Zahlungsansprüche können sich im Verhältnis zwischen dem Gasversorgungsunternehmen und Sonderkunden deshalb allein aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag oder aus § 812 BGB ergeben. Dass das Versorgungsunternehmen die Auffassung vertritt, aus § 4 AVBGasV, § 5 GasGVV ergebe sich für Tarif-/Grundversorgungskunden ein gesetzliches Preisänderungsrecht, und durch die unveränderte Übernahme dieser Vorschriften in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für Normsonderverträge werde ein den Anforderungen der §§ 305 ff. BGB genügendes Preisanpassungsrecht begründet (st. Rspr. des BGH, zuletzt VIII ZR 246/08 vom 14.7.2010; a.A. OLG Oldenburg 12 U 49/07 vom 5.9.2008), ändert hieran nichts. Es kann dahinstehen, ob diese Ansicht zutrifft, denn die Antwort auf letztere Frage ergibt sich in jedem Falle nicht aus Normen des EnWG sondern aus §§ 305 ff. BGB.
2. Der Rechtsstreit hängt auch nicht von einer nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu treffenden Entscheidung i.S.v. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG ab.
Dies gilt zum einen für die Frage, ob der Kläger Grundversorgungs- oder Sonderkund...