Entscheidungsstichwort (Thema)

Kauf eines von der Abgasthematik betroffenen Neuwagens vom Hersteller: kaufrechtliche Sachmängelhaftung und deliktsrechtliche Haftung des Herstellers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Fristsetzung zur Nachbesserung gegenüber dem Hersteller des von der Abgasthematik betroffenen Fahrzeugs, der gleichzeitig Vertragspartner ist, ist gem. § 440 S. 1 Alt. 3 BGB aufgrund der vorausgegangenen arglistigen Täuschung des Herstellers entbehrlich.

2. Für die arglistige Täuschung muss der Käufer nicht vortragen, auf welche konkrete Person aus dem Unternehmen der Beklagten die Entwicklung und der Einbau der unzulässigen Software zurückzuführen ist. Die gegenteilige Rechtsauffassung steht im Widerspruch zu dem vom Bundesgerichtshof entwickelten Gleichstellungsargument, wonach ein Vertragspartner einer juristischen Person nicht schlechter gestellt sein darf als ein Vertragspartner einer natürlichen Person.

3. Die Freigabeerklärung des Kraftfahrtbundesamtes ist für Zivilgerichte nicht bindend und nicht geeignet, die zivilrechtliche Rechtsposition des am Freigabeverfahren nicht beteiligten Käufers zu schwächen.

4. Die Entbehrlichkeit der Fristsetzung ergibt sich auch aus § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Indem die Beklagte nachhaltig den rechtlich unzutreffenden Standpunkt vertritt, das Fahrzeug sei mangelfrei, verweigert sie ernsthaft und endgültig eine Nachbesserung im Sinne der §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB. Das Angebot des Softwareupdates ist (nur) einem Kulanzangebot vergleichbar, das anders als die geschuldete Nachbesserung im Sinne der §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB keinen Neubeginn der Verjährung gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB bewirkt.

5. Für die deliktsrechtliche Haftung der Beklagten ist unerheblich, welche Person aus dem Unternehmen der Beklagten die Entwicklung und den Einbau der Software verantwortet hat, da die Beklagte entweder gemäß § 826, 31 BGB oder aber gem. § 831 BGB haftet.

 

Normenkette

BGB § 323 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 S. 2, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 440 S. 1 Alt. 3, §§ 826, 831; ZPO §§ 371b, 417-418

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Aktenzeichen 8 O 2166/17)

 

Tenor

Der Senat weist zur Vorbereitung auf den Termin zur mündlichen Verhandlung vom 31.01.2019 auf Folgendes hin:

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Rückabwicklung des Kaufvertrages über ein von der Abgasthematik betroffenes Fahrzeugs (V... G... P... Trendline BlueMotion Technology 1,6 TDI 77 kW), nachdem er im Laufe des Rechtsstreits von dem Kaufvertrag zurückgetreten ist.

Bei der Beklagten handelt es sich um die Herstellerin des Fahrzeugs, die gleichzeitig Vertragspartnerin des Klägers ist.

Im Streit sind die Fragen der Mangelhaftigkeit des von der Abgasthematik betroffenen Fahrzeugs (§ 434 Abs. 1 BGB), die Frage der Notwendigkeit einer Nachfristsetzung, hier insbesondere der Unzumutbarkeit einer Nachbesserung durch die Beklagte (§ 440 S. 1 Alt. 3 BGB) und die Frage der Erheblichkeit des Mangels (§ 323 Abs. 5 S. 2 BGB). Im Streit ist auch die Frage, welche Bedeutung der Freigabeerklärung des Kraftfahrtbundesamtes vom 3. November 2016 (Anlage B 3) zukommt.

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Der Rücktritt des Klägers sei berechtigt. Das Fahrzeug sei mangelhaft und eine Nachbesserung durch die Beklagte wegen vorangegangener Täuschung ungeachtet der Freigabe des Software-Updates durch das Kraftfahrzeugbundesamt gemäß § 440 S. 1 Alt. 3 BGB unzumutbar. Der Mangel sei auch nicht unerheblich im Sinne § 323 Abs. 5 S. 2 BGB.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil als richtig. Er stützt seinen Klagantrag nunmehr auch auf § 826 BGB.

II. Der Senat neigt nach vorläufiger Rechtsauffassung dazu, den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts Osnabrück zu folgen.

1. Die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB dürfte zu bejahen sein. Das Fahrzeug wich nach gegenwärtiger Rechtsauffassung des Senats negativ ab von der Beschaffenheit, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer erwarten konnte. Die Beklagte trägt selbst vor, dass die streitgegenständliche Motorsteuerung auf dem Prüfstand in den NOx-optimierten Modus 1 (mit einer erhöhten Abgasrückführungsrate) geschaltet habe, während sich der Motor im normalen Fahrbetrieb im Modus 0 befunden habe, in dem die Abgasrückführungsrate geringer gewesen sei. Daraus dürfte folgen, dass die Abgaswerte, die im Prüfverfahren gemessen wurden, nicht die zu erwartende Aussagekraft hatten für die Abgaswerte im Echtbetrieb. Das Ergebnis der behördlichen Prüfung dürfte auf einer durch Einsatz der Software verfälschten Grundlage basiert haben. Ein durchschnittlicher Käufer wird aber davon ausgehen dürfen, dass ein PKW den für eine Typengenehmigung erforderlichen Test ohne Zuhilfenahme einer speziell hierfür konzipierten Software erfolgreich absolviert hat (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 31. August 2018 - 25 U 17/18 -, Rn. 53, juris; Thüringer...

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