Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht zur Anhörung des Kindes im Umgangsverfahren. Anforderungen an die gerichtliche Umgangsregelung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der gem. § 50b FGG vorgeschriebenen Anhörung des Kindes handelt es sich um einen Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang, der die Stellung des Kindes als Subjekt im Verfahren, seine Grundrechte und sein rechtliches Gehör schützt. Infolgedessen ist die Anhörung in einem Umgangsverfahren auch dann erforderlich, wenn die Eltern eine Anhörung nicht wünschen
2. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, obliegt es dem Familiengericht, eine konkrete Umgangsregelung mit durchsetzbarem Inhalt zu treffen, die vollständig, vollziehbar und vollstreckbar sein muss. Vollstreckbar ist eine Umgangsregelung nur dann, wenn sie hinreichend präzisiert ist.
Normenkette
BGB § 1684 Abs. 3; FGG § 50b
Verfahrensgang
AG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 27.03.2009; Aktenzeichen 64 F 300/08 UG) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsstellers wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Oldenburg vom 27.3.2009 aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das AG - Familiengericht - Oldenburg zurückverwiesen.
Der Beschwerdewert beträgt 3000 EUR.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien sind seit dem 23.5.2006 geschieden. Ihre gemeinsame Tochter ..., geb ... 1997, lebt bei der Kindesmutter. Am 28.10.2005 schlossen die Parteien vor dem Notar ... in ... eine Trennungs- und Scheidungsvereinbarung, deren § 9 eine ausführliche Umgangsregelung enthält. Wegen deren Einzelheiten wird auf Bl. 132 - 144 d.A. Bezug genommen. Diese Regelung enthält insoweit Spielräume, als beispielsweise exakte Zeiten bewusst nicht vorgegeben sind und aus wichtigem Grund ausgefallener Wochenendumgang am darauffolgenden Wochenende nachgeholt werden kann. Die Durchführung des Umgangs führte immer wieder zu Streitigkeiten. Die Kindesmutter hat deshalb eine gerichtliche Umgangsregelung begehrt, die sie sich als starre Regelung für Wochenenden, Ferienzeiten und Feiertage vorstellt. Der Kindesvater meint, dass er eine starre Regelung aus beruflichen Gründen nicht einhalten könne. Wegen des Sachverhalts wird im Übrigen auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Nachdem die Eltern übereinstimmend darum gebeten haben,... nicht anzuhören, hat das Familiengericht ohne Anhörung des Kindes mit dem angefochtenen Beschluss § 9 der notariellen Vereinbarung vom 28.10.2005 abgeändert und durch eine Umgangsregelung ersetzt, nach der der zweiwöchige Umgang beibehalten bleibt und für die Ferien eine feste Regelung getroffen wird. Wegen der weiteren Einzelheiten der Regelung wird auf den Beschluss Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich der Antragssteller mit der Beschwerde. Er will an der notariellen Vereinbarung festhalten und macht geltend, diese treffe ausreichende Bestimmungen auch für den Fall, dass die Eltern sich nicht einigen könnten. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die neue Umgangsregelung dem Kindeswohl besser Rechnung trage. Inzwischen hat auch die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 28.5.2009 um eine Präzisierung des Beschlusses gebeten.
II. Die gem. § 621e ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung des Verfahrens an das Familiengericht. Der angefochtene Beschluss leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil die Anhörung der elfjährigen ... unterblieben ist. Eines Antrags auf Aufhebung und Zurückverweisung - der hier ohnehin seitens des Antragsstellers gestellt worden ist - bedarf es im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht, weil § 621e Abs. 3 S. 2 ZPO nicht auf § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO verweist und das Gericht aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes - anders als im Zivilprozessrecht - an Anträge der Parteien nicht gebunden ist (ebenso OLG Düsseldorf FamRZ 2008, 1363 f.; OLG Köln FamRZ 2004, 1301; Musielak/Borth, ZPO, 8. Aufl. 2008, § 621e Rz. 26; a.A. Zöller/Philippi, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 621e Rz. 76 m.w.N. zu beiden Ansichten).
1. Können sich die Eltern über die Ausübung des Umgangsrechts nicht einigen, hat das Familiengericht gem. § 1684 Abs. 3 BGB eine Entscheidung zu treffen, die sowohl die beiderseitigen Grundrechtspositionen der Eltern als auch das Wohl des Kindes und dessen Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigt. Aus diesem Grund muss die Ausgestaltung des Verfahrens den widerstreitenden Grundrechtspositionen Rechnung tragen. Bei der Entscheidung ist der Wille des Kindes zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist. Dazu hat das Gericht gem. § 50b FGG das Kind persönlich anzuhören. Diese Anhörung darf gem. § 50b Abs. 3 S. 1 FGG nur aus schwerwiegenden Gründen unterbleiben. Dabei handelt es sich um einen Verfahrensgrundsatz mit Verfassungsrang, der die Stellung des Kindes als Subjekt im Verfahren, sein...