Leitsatz (amtlich)
Eine Person, deren Aufenthalt seit langer Zeit unbekannt ist, über deren Schicksal aber den Umständen nach keine Nachrichten zu erwarten sind, ist verschollen i.S.v. § 1 Abs. 1 VerschG, wenn sie im Einzelfall inzwischen ein Alter erreicht hätte, bei dem aus Sicht eines vernünftig denkenden Menschen erhebliche Zweifel an ihrem Fortleben begründet sind. Dieses ist in Ermangelung anderer Anhaltspunkte jedenfalls der Fall, wenn die vermisste Person, würde sie noch leben, inzwischen über 100 Jahre als wäre.
Kann für die Todesfeststellung gemäß § 9 Abs. 2 VerschG ein wahrscheinlicher Zeitpunkt nicht festgestellt werden, ist aber der Auffangzeitpunkt gemäß § 9 Abs. 3 VerschG deutlich weniger wahrscheinlich als andere Zeitpunkte, weil die verschollene Person bereits seit langer Zeit unbekannten Aufenthalts ist, ohne dass Anhaltspunkte für ein frühes Ableben vorliegen, wiederspricht es dem Prioritätsverhältnis zwischen § 9 Abs. 2 VerschG und § 9 Abs. 3 VerschG, wonach vorrangig der wahrscheinlichste Todeszeitpunkt festgestellt werden soll, die Auffangregelung nach § 9 Abs. 3 VerschG anzuwenden. In diesem Fall muss das Gericht den Zeitpunkt gleichwohl nach § 9 Abs. 2 VerschG bestimmen und sich dem wahrscheinlichsten Todeszeitpunkt durch eine Schätzung nähern.
Ist in einer derartigen Situation die vermisste Person allein aufgrund ihres hohen Alters, welches sie im Erlebensfall haben müsste, als verschollen anzusehen, ist es angemessen, zur Schätzung des wahrscheinlichen Todeszeitpunktes auf die durchschnittliche Lebenserwartung abzustellen, welche die verschollene Person zu dem Zeitpunkt hatte, als sie nach den vorhandenen Nachrichten noch gelebt hat.
Verfahrensgang
AG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 07.03.2017; Aktenzeichen 31 II 1/15) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG Oldenburg vom 07.03.2017 geändert:
Der am 14.04.1912 in H. geborene H. A. C. wird für tot erklärt.
Der Zeitpunkt des Todes wird festgesetzt auf den 31.12.1984.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Nachlass des Verstorbenen auferlegt.
Der Wert des Verfahrens wird festgesetzt auf 5.000,- EUR.
Dieser Beschluss ist öffentlich bekannt zu geben.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt die Todeserklärung seines am 14.04.1912 geborenen Vaters. Dieser war mit der Mutter des Antragstellers verheiratet. Der Antragsteller hat geltend gemacht, dass sein Vater die Familie zu einem ihm - dem Antragsteller - nicht bekannten Zeitpunkt verlassen habe. Eigene Erinnerungen an seinen Vater habe er nicht. Sowohl seine im Juni 2002 verstorbene Mutter, als auch seine beiden älteren - ebenfalls verstorbenen - Schwestern hätten zu Lebzeiten niemals etwas über das Schicksal und den Verbleib seines Vaters berichtet.
Das AG Oldenburg hatte mit Beschluss vom 18.11.2015 erstmals den am 30.03.2015 gestellten Antrag des Antragstellers zurückgewiesen. Die Voraussetzungen, wonach die für tot zu erklärende Person verschollen sein müsse, seien nicht glaubhaft gemacht worden. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers hatte der Senat mit Beschluss vom 17.03.2016 (Az. 12 W 283/15) die Entscheidung des AG aufgehoben und dieses ersucht, das Verfahren fortzuführen. Zur Begründung hatte der Senat ausgeführt, dass die Voraussetzungen an die Verschollenheit seines Vaters gemäß § 1 Abs. 1 VerschG von dem Antragsteller glaubhaft gemacht worden seien. Zwar sei es zutreffend, dass vorliegend nicht zu erwarten gewesen sei, dass der Antragsteller Nachrichten von seinem Vater erhielte. Ernsthafte Zweifel am Fortleben einer Person könnten aber auch dann begründet sein, wenn keine derartigen Nachrichten von ihm zu erwarten seien. Dieses sei hier in Anbetracht des Alters des Vermissten der Fall, der zum Zeitpunkt der damaligen Beschlussfassung fast 104 Jahre alt gewesen wäre. Hinzu trete, dass sich auch bei den Standesämtern in Hamburg, wo der Vermisste geboren wurde, keinerlei Hinweise auf den Verbleib des Vaters finden würden.
Hierauf hat das AG Oldenburg das Aufgebotsverfahren durchgeführt. Neben der öffentlichen Bekanntmachung im Bundesanzeiger ist das Aufgebot in lokalen Tageszeitungen in Hamburg, Berlin, Ratzeburg und in Brezie/Polen, ehem. Eickfier, Kreis Schlochau/Pommern veröffentlicht worden. Hierbei handelt es sich um die bekannten bzw. mutmaßlichen früheren Lebensmittelpunkte des Vermissten. Auf das Aufgebot hat sich niemand gemeldet. Die angehörte Beteiligte zu 2) hat keine Bedenken gegen das Aufgebotsverfahren geäußert.
Sodann hat das AG Oldenburg mit Beschluss vom 07.03.2017 den Antrag auf Todeserklärung des Vermissten als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass auch nach Durchführung des Aufgebotsverfahrens das Schicksal des Vermissten nicht habe aufgeklärt werden können. Nach der vorangegangenen Entscheidung des Senats sei davon auszugehen, dass der Vater des Antragstellers seit dem Jahr 2016 verschollen sei. Ein Zeitpunkt des Todes könne nicht ermittelt werden. Von daher sei die Regelung...