Leitsatz (amtlich)

1. Im Sonderkundenbereich kann ein Gasversorger das Recht zur einseitigen Preiserhöhung nicht allein dadurch begründen, dass er in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen auf die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV) bzw. die Verordnung zum Erlass von Regelungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung im Energiebereich (GasGVV) verweist.

2. Zur Inhaltskontrolle von §§ 4 AVBGasV, 5 GasGVV gem. § 307 BGB bei einer vertraglichen Einbeziehung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Aktenzeichen 9 O 403/06)

 

Tenor

1. Das Verfahren wird ausgesetzt.

2. Die Sache wird gemäß Artikel 234 EGV dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt, und zwar mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung über folgende Fragen:

a) Ist Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie 93/13 EWG DES RATES vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen dahin auszulegen, dass Rechtsvorschriften auch dann nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie unterliegen, wenn ein Gewerbetreibender in seinen Vertragsbedingungen auf Rechtsvorschriften verweist, die für eine andere Verbrauchergruppe und einen anderen Vertragstyp erlassen worden sind? Erstreckt sich bei einer Nichtanwendbarkeit der Richtlinie der Anwendungsausschluss auch auf das in Artikel 5 enthaltene Gebot der Klarheit und Verständlichkeit?

b) Sind Artikel 5 Satz 1 der Richtlinie 93/13 EWG DES RATES vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen und Artikel 3 Absatz 3 Satz 3 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt dahin auszulegen, dass eine ‚klare und verständliche Klausel‚ nicht vorliegt beziehungsweise ‚ein hoher Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die Transparenz der allgemeinen Vertragsbedingungen‚ nicht gewährleistet ist, wenn ein Gewerbetreibender ein einseitiges Preisänderungsrecht damit begründen will, dass er in seinen allgemeinen Vertragsbedingungen pauschal auf eine Verordnung Bezug nimmt, die für eine andere Verbrauchergruppe und einen anderen Vertragstyp erlassen worden ist und bei der zudem die maßgebliche Norm für das Preisänderungsrecht nicht dem Transparenzgebot genügt?

 

Gründe

I. Sachverhalt

1 Die Beklagte versorgt Endverbraucher mit Gas. Die Kläger sind Kunden der Beklagten. Die Beklagte hat seit dem 1. September 2004 in mehreren Schritten ihre Preise einseitig erhöht. Die Kläger begehren die Feststellung, dass einzelne Erhöhungen unwirksam sind.

2 Der Senat hat mit Urteil vom 5. September 2008 (ZNR 2008, 385 = RdE 2009, 25) für die Mehrzahl der Kläger der Klage stattgegeben. Er hat ausgeführt, die Kläger seien Sondervertragskunden. Ein einseitiges Recht zur Preiserhöhung stehe der Beklagten daher nur dann zu, wenn dies wirksam vertraglich vereinbart worden sei. Dies sei nicht der Fall, weil die allgemeinen Vertragsbedingungen, aus denen die Beklagte ihr Preisänderungsrecht ableite, nicht wirksam seien. Die Revision der Beklagten gegen dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof am 14. Juli 2010 zurückgewiesen, soweit es um die Preiserhöhungen ab April 2007 geht. Wegen der Preiserhöhungen zwischen dem 1. September 2004 und dem 31. März 2007 hat er die Sache an den Senat zurückverwiesen.

3 Der Bundesgerichtshof führt in seinem Urteil vom 14. Juli 2010 (Band VIII Bl. 152 ff = MDR 2010, 1096) aus, für die Zeit vor April 2007 seien die allgemeinen Vertragsbedingungen der Beklagten grundsätzlich geeignet, ein Preisänderungsrecht zu begründen. In diesen Vertragsbedingungen nimmt die Beklagte pauschal auf die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (AVBGasV, BGBl. I 1979, 676) Bezug, und zwar unter anderem mit folgender beispielhafter Formulierung:

"Es wird die Versorgung mit Erdgas zum Sondertarif der ... beantragt.

...

Der Auftrag erfolgt aufgrund der Verordnung über allgemeine Bedingungen für die Elektrizitäts und Gasversorgung von Tarifkunden (AVBEltV/AVBGasV) vom 21.Juli 1979 einschließlich der Ergänzenden Bestimmungen der ... Aktiengesellschaft in jeweils gültiger Fassung".

4 Das Preisänderungsrecht leitet die Beklagte aus § 4 Absatz 1 und 2 AVBGasV ab. Dieser lautet:

⤠4 Art der Versorgung

(1) Das Gasversorgungsunternehmen stellt zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs und Benutzungsverhältnissen des Unternehmens ergebenden Schwankungsbreite sowie der für die Versorgung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases bestimmen sich nach allgemeinen Tarifen.

(2) Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.‚

5 Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass eine § 4 Absatz 1 und 2 AVBGasV nachgebildete vertragliche Preisanpassungsklausel nicht den Anforderungen genügt, die die höchstrichterliche Rechtsprechung in anderen Fällen an die tatbestandliche Konkr...

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