Leitsatz (amtlich)
Vorwerfbarkeit einer Geschwindigkeitsüberschreitung bei Abfahren von der Straße und Wiederauffahren auf die Straße, für die eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt, im Rahmen einer einheitlichen Fahrt.
Normenkette
StVO § 3
Verfahrensgang
AG Bersenbrück (Entscheidung vom 24.09.2018) |
Tenor
Der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Bersenbrück vom 24.9.2018 zuzulassen, wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 80 € verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs und macht geltend, die Rechtsbeschwerde sei zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
Das Amtsgericht hat folgendes festgestellt:
Am 16.4.2018 befuhr der Betroffene mit einem Pkw in A ... die L ... . Der Betroffene passierte eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h ("70er-Schild"). Aus einem vom Amtsgericht ordnungsgemäß in Bezug genommenen Kartenausdruck ergibt sich, dass danach in einer Entfernung von ca. 1 km eine Straße ("Straße 1") nach rechts abzweigt. Knapp 200 m weiter zweigt eine weitere Straße ("Straße 2") nach rechts ab. Bei beiden Straßen handelt es sich nach den Urteilsfeststellungen um Zufahrtswege zu Höfen. An der Einmündung von Straße 2 befindet sich ein Sackgassenschild. Unmittelbar an der Einmündung zu Straße 1 stand ein weiteres für die L ... geltendes 70er-Schild. Nach der Einmündung von Straße 2 bis zur Messstelle war kein weiteres 70er-Schild vorhanden.
In den Urteilsgründen heißt es: "Die Einlassung des Betroffenen, die L ... kurzfristig verlassen zu haben und anschließend über eine weitere Straße aufgebogen zu sein, ohne dass ein weiteres Schild an der Stelle vorhanden war, konnte nicht widerlegt werden." Und weiter: "Der Betroffene hat danach bereits das 70er-Schild einmal passiert und bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt auch beim Abbiegen nochmals wahrnehmen müssen. Das Verkehrsschild hat danach Weitergeltung für ihn gehabt und zwar unabhängig davon, ob man überhaupt zwischen den Nebenstraßen durchfahren kann oder nicht. Daher war auch kein Ortstermin durchzuführen. Da der Betroffene aus einer Sackgasse wiederum auf die L ... auffuhr, hatte die Beschilderung weiterhin Gültigkeit und zwar auch für ihn."
Der Betroffene meint demgegenüber, die Geschwindigkeitsbeschränkung habe ihm gegenüber nicht gegolten.
Bei einer Geldbuße bis zu 100 € kommt die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur zur Fortbildung des materiellen Rechts oder der Verletzung rechtlichen Gehörs in Betracht.
Beide Zulassungsgründe sind nicht gegeben.
Nach den Urteilsfeststellungen ist davon auszugehen, dass der Betroffene von Straße 2 auf die L ... aufgefahren ist und danach bis zur Messstelle kein 70er-Schild passiert hat. Da das Amtsgericht letztlich offengelassen hat, ob er Straße 2 über Straße 1 erreichen konnte, gibt es zwei Varianten.
Variante A: Abbiegen in Straße 1, Wiederauffahren von Straße 2
Variante B: Abbiegen in Straße 2, Wiederauffahren von Straße 2
Der Unterschied zwischen den beiden Varianten besteht darin, dass der Betroffene bei der Variante B während des Befahrens des Streckenabschnitts hätte feststellen können, dass zwischen den Straßen 1 und 2 keine Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung erfolgte, während er bei Variante A diese Feststellung zumindest nicht durch Befahren der L ... auf dem Abschnitt zwischen den Einmündungen der Straßen 1 und 2 treffen konnte.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die durch ein Verkehrszeichen begründete Anordnung für den Verkehrsteilnehmer der sie kennt, auch dann gilt, wenn er in dessen Wirkungsbereich von einer Stelle einfährt, von der es nicht wahrgenommen werden kann (OLG Karlsruhe DAR 2003, 182; BayObLG VRS 69. Band, 461). Für Kenntnis bieten die Urteilsgründe keinen Anhalt.
Bei Variante B hätte der Betroffene aber schon durch Befahren des Streckenabschnittes wissen können, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht aufgehoben war. Es ist dennoch nicht die vom Betroffenen für klärungsbedürftig gehaltene Frage zu klären, wie lange eine Geschwindigkeitsanordnung auf einer bestimmten Strecke "in Erinnerung bleiben muss".
Diese Frage ist nämlich ebenfalls geklärt:
Ein Kraftfahrer ist zwar verpflichtet, darauf zu achten, wie auf der von ihm befahrenen Strecke der Verkehr durch Gebote und Verbote geregelt ist; er hat jedoch keinen Anlass, diese Regelungen darüber hinaus seinem Gedächtnis einzuprägen. Gerade ein routinierter Kraftfahrer wird häufig die von ihm wahrgenommene Regelung mehr oder weniger unbewusst beachten, ohne dass er anschließend noch eine Erinnerung an sie hat. Nicht aber geht es an, von einem Verkehrsteilnehmer zu verlangen, dass er sich über die konkrete Fahrt hinaus die bei dieser erlangten Wahrnehmungen auch weiterhin einprägt und sie bei einer späteren Fahrt wieder...