Leitsatz (amtlich)
›Der an seinen Verteidiger abgetretene Anspruch eines freigesprochenen früheren Angeklagten auf Festsetzung und Erstattung seiner notwendigen Auslagen durch die Staatskasse kann unter besonderen Umständen verwirkt sein.‹
Verfahrensgang
Gründe
I.
Durch Urteil des LG Osnabrück vom 09.05.1985, rechtskräftig seit dem 26.03.1986, wurde der Angeklagte teils verurteilt, teils freigesprochen. Im Umfang des Freispruchs wurden die Verfahrenskosten und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Freigesprochenen der Staatskasse auferlegt.
Mit Schreiben vom 31.12.2004 hat Rechtsanwalt _ der damalige Verteidiger des Freigesprochenen, eine Abtretungserklärung vorgelegt, wonach ihm der Freigesprochene am 19.05.1986 den Anspruch gegen die Staatskasse auf Auslagenerstattung abgetreten und er diese Abtretung am 21.05.1986 angenommen hat. Zugleich hat Rechtsanwalt R beantragt, die dem Freigesprochenen auf Grund des Urteils des LG Osnabrück vom 09.05.1985 zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 913,08 EUR nebst Zinsen von 5% über dem Basissatz festzusetzen.
Der Rechtspfleger hat den Antrag auf Festsetzung der notwendigen Auslagen mit der Begründung zurückgewiesen, die Geltendmachung des Anspruchs sei verwirkt.
Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Rechtsanwalts blieb ohne Erfolg.
II.
Das Landgericht hat zu Recht eine Verwirkung des Erstattungsbegehrens angenommen. Die Verwirkung stellt einen auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung dar, dem auch prozessuale Befugnisse wie Ansprüche auf Kostenerstattung unterliegen können (vgl. OLG Frankfurt MDR 1974, 240; OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 55). Der Rechtsgrundsatz der Verwirkung ist auch in den Fällen der Kostenfestsetzung nach § 464 b StPO, die nach den Vorschriften der ZPO durchzuführen ist, zu berücksichtigen. Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es lange Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte (Umstandsmoment), dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Palandt/Heinrichs BGB, 64. Aufl., § 242 Rn 87 m.w.N.). Zwar ist der dem Grunde nach rechtskräftig festgestellte Erstattungsanspruch des Freigesprochenen gegen die Staatskasse, der der 30jährigen Verjährungsfrist unterliegt (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB), noch nicht verjährt. Eine Verwirkung kann indessen schon vor der Verjährung eintreten; darin liegt gerade die besondere Bedeutung der Verwirkung in der Praxis. Vorliegend hat der Freigesprochene seinen Erstattungsanspruch aus dem Urteil des LG Osnabrück vom 09.05.1985 am 19.05.1986 unwiderruflich seinem Verteidiger abgetreten, der die Abtretung am 21.05.1986 annahm. Der Verteidiger hatte deshalb seit 1985, spätestens seit der Annahme der Abtretung Kenntnis von dem Auslagenerstattungsanspruch. Auf seinen Antrag vom 08.07.1986 hat der Verteidiger nochmals Akteneinsicht erhalten und die Akten am 21.07.1986 der Staatsanwaltschaft Osnabrück zurückgesandt. Irgendein Anhalt dafür, dass noch ein Antrag auf Auslagenerstattung folgen werde bzw. die Geltendmachung jenes Anspruchs vorbehalten bleibe, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Erst mit Telefax vom 31.12.2004 hat der Verteidiger eine Auslagenerstattung beantragt.
Das sog. Zeitmoment der Verwirkung ist schon durch die mehr als 18 Jahre andauernde Untätigkeit des Berechtigten erfüllt. Mehr als 18 Jahre sind als überreichlich langer Zeitraum anzusehen, in dem dem Verteidiger die Geltendmachung des ihm abgetretenen Erstattungsanspruchs möglich und zumutbar gewesen ist. Das taten- und kommentarlose Verstreichenlassen dieses Zeitraumes, insbesondere das nicht von einem Kostenantrag begleitete Zurücksenden der nach Verfahrensbeendigung eingesehenen Akten und die nachfolgenden Untätigkeiten stellten Umstände dar, die - insbesondere auch weil es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Rechtsanwalt handelt - im Verpflichteten (Staatskasse) den Eindruck erweckten, der Berechtigte wolle eine Kostenerstattung nicht mehr geltend machen.
Fundstellen
Haufe-Index 2962588 |
JurBüro 2005, 655 |
NStZ 2006, 411 |
www.judicialis.de 2005 |