Leitsatz (amtlich)

Der Umstand, dass die Generalstaatsanwaltschaft infolge ihrer Weisungsgebundenheit den Erfordernissen einer vollstreckenden Justizbehörde i.S.d. Art.6 Abs.2 RB-EuHB nicht genügt, hat zur Folge, dass im Falle einer Überschreitung der - erst mit Bewilligung der Auslieferung durch die Generalstaatsanwaltschaft beginnenden - zehntägigen Übergabefrist die Feststellung der Ursächlichkeit von Umständen, die sich dem Einfluss der beteiligten Staaten entziehen, und ein neuer Übergabetermin gerichtlich zu überprüfen sind, nicht aber, dass die der Generalstaatsanwaltschaft durch das IRG zugewiesene Aufgabe der Bewilligung und Organisation der Übergabe nunmehr in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts fällt.

 

Normenkette

Rahmenbeschluss 2002/584/JI Art. 6 Abs. 2; IRG §§ 13, 83c, 83d

 

Tenor

Die Fortdauer der durch Beschluss des Senats vom 31. März 2022 angeordneten Auslieferungshaft wird angeordnet.

 

Gründe

Der Senat hat gegen den am 24. März 2022 in dieser Sache festgenommenen Verfolgten mit Beschluss vom 31. März 2022 die Auslieferungshaft zum Zwecke seiner Auslieferung nach Rumänien zur Strafvollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts Focşani vom 20. Dezember 2019 (Nr. 1669) in Verbindung mit dem Strafbeschluss des Berufungsgerichts Galati vom 3. September 2020 (Nr. 700) rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten angeordnet. Nach Eingang ausreichender Zusicherungen in Bezug auf die zu erwartenden Haftbedingungen hat der Senat mit Beschluss vom 10. Juni 2022 die Auslieferung für zulässig erklärt und die Fortdauer der zuvor bereits mit Beschluss vom 12. Mai 2022 aufrecht erhaltenen Auslieferungshaft angeordnet. Wegen der Einzelheiten wird auf die bezeichneten Entscheidungen Bezug genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 14. Juni 2022 gegenüber den rumänischen Behörden die Auslieferung des Verfolgten bewilligt. Die Überstellung des Verfolgten war zunächst für den 20. Juni 2022 durch Übergabe des Verfolgten an die rumänischen Behörden am Flughafen Frankfurt/Main vorgesehen. Dieser Termin ist durch die rumänischen Behörden abgesagt worden, weil wegen des Ferienbeginns nur wenige Flugtickets verfügbar seien. Es werde stattdessen die Übernahme des Verfolgten am Flughafen Frankfurt/Main am 5. Juli 2022 vorgeschlagen. Mit Verfügung vom 20. Juni 2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft die Sache unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 28. April 2022 (C-804/21 PPU) dem Senat vorgelegt mit dem Antrag auf Feststellung, dass die Übergabe des Verfolgten innerhalb von zehn Tagen nach der Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung auf Grund von Umständen, die sich dem Einfluss der Mitgliedsstaaten entziehen, unmöglich ist, und dass als neues Datum zur Übergabe der 8. (nunmehr: 5.) Juli 2022 vereinbart ist.

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft führt zur Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft.

1.

Der Senat hat mit seiner Zulässigkeitserklärung am 10. Juni 2022 die Fortdauer der Auslieferungshaft beschlossen. Da eine Auslieferung des Verfolgten innerhalb von zehn Tagen nach dem zunächst vereinbarten, entsprechend § 83c Abs. 4 Satz 2 IRG maximal zehn Tage nach der auch in Ansehung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 28. April 2022 insoweit maßgeblichen Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft vom 14. Juni 2022 - der allein den Verfahrensbeteiligten bekannt gemachten Zulässigkeitsentscheidung des Senats vom 10. Juni 2022 kommt eine Wirkung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedsstaat nicht zu - liegenden Übergabetermin (20. Juni 2022) nicht von den rumänischen Behörden übernommen werden wird, wäre er gemäß § 83d IRG mit Ablauf des 30. Juni 2022 zu entlassen, wenn bis dahin kein neuer Übergabetermin wirksam vereinbart würde.

2.

Vorliegend liegen die Voraussetzungen für die Vereinbarung eines neuen Übergabetermins gemäß § 83c Abs. 4 Satz 3 IRG vor. Danach ist ein neuer Termin zu vereinbaren, wenn die Einhaltung des zunächst vereinbarten Termins auf Grund von Umständen unmöglich ist, die sich dem Einfluss der beteiligten Staaten entziehen. Derartige Umstände sind bei ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Ereignissen gegeben, auf die derjenige, der sich darauf beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. So liegt es hier. Denn ob bzw. bzw. für welchen Tag Flugtickets für die Überstellung eines Verfolgten zur Verfügung stehen, liegt in der Hand von (zumeist zivilen) Linienfluggesellschaften und nicht in der Hand der an der Überstellung beteiligten Staaten, zumal die Beschaffung der Flugtickets bereits nach dem gesetzlich vorgesehenen Verfahrensablauf nur mit einem sehr kurzen zeitlichen Vorlauf erfolgen kann. Alternative Transportmöglichkeiten versprechen ersichtlich ebenfalls keine wesentliche Zeitersparnis (vgl. OLG München, Beschluss v. 09.06.2022, 1 AR 122/22).

3.

Der seitens der Generalstaatsanwaltschaft auf den 5. Juli 20...

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