Entscheidungsstichwort (Thema)
Ehescheidungsverbundverfahren: Einbeziehung von Folgesachen in den Verbund bei Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist
Leitsatz (amtlich)
§ 137 Abs. 2 S. 1 FamFG ist wegen des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens einschränkend auszulegen. Die Einbeziehung von Folgesachen in den Verbund scheitert nur dann an der Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist, wenn die Ladung zum Termin mehr als vier Wochen vor dem Termin erfolgt ist. Die Einhaltung der Mindestladungsfrist von einer Woche gem. § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 217 ZPO ist nicht ausreichend.
Normenkette
FamFG § 113 Abs. 1 S. 2, § 137 Abs. 2 S. 1; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Nordhorn (Beschluss vom 07.05.2010; Aktenzeichen 11 F 79/10 S) |
Nachgehend
Tenor
I. Der Beschluss des AG - Familiengericht - Nordhorn vom 7.5.2010 in der Form des Berichtigungsbeschlusses vom 25.5.2010 wird mit dem dazugehörigen Verfahren aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Mit der Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Scheidung seiner Ehe, weil das Familiengericht die von ihm eingereichten Anträge zum nachehelichen Unterhalt und zum Zugewinnausgleich unter Hinweis auf die Frist des § 137 Abs. 2 S. 1 FamFG nicht als Verbundsachen behandelt hat.
Der 1950 geborene Antragsgegner und die 1957 geborene Antragsstellerin schlossen 1985 die Ehe. Die Ehefrau beantragte am 19.1.2010 die Scheidung der Ehe. Auch der Antragsgegner beantragte mit der Erwiderung, die am 28.1.2010 bei Gericht einging, die Scheidung. Er bezieht Arbeitslosengeld. Seine Ehefrau betreibt als selbständige Apothekerin zwei Apotheken.
Das Familiengericht holte zunächst Auskünfte der Versorgungsträger ein. Nach Eingang der letzten Auskunft am 21.4.2010 beraumte es mit Verfügung vom 22.4.2010 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 4.5.2010 an. Dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners ging die Ladung am 26.4.2010 zu.
Am 28.4.2010 gingen Anträge des Antragsgegners zum nachehelichen Unterhalt und zum Zugewinn bei Gericht ein. Hinsichtlich des Zugewinns begehrte er zunächst Auskunft. Ein Leistungsantrag im Wege der Stufenklage ging erst am 20.5.2010 bei Gericht ein.
In der mündlichen Verhandlung vom 4.5.2010 wurden die Beteiligten zu den Scheidungsvoraussetzungen und zum Versorgungsausgleich angehört.
Durch den angefochtenen Beschluss, der am 7.5.2010 zur Geschäftsstelle gelangte, hat das Familiengericht die Ehe der Parteien geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Die "weiteren Folgesachen" nachehelicher Unterhalt und Zugewinnausgleich seien wegen Versäumung der Frist des § 137 Abs. 2 S. 1 FamFG nicht in den Verbund gelangt und als selbständige Verfahren zu führen. Der Antragsgegner hätte sofort bei Bedarf entsprechende Folgesacheanträge anhängig machen müssen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, der unter Aufhebung des Scheidungsausspruchs eine Wiederherstellung des Verbundes bezüglich des nachehelichen Unterhalts und des Zugewinns erstrebt. Er meint, angesichts der lediglich einwöchigen Ladungsfrist habe er die Frist des § 137 Abs. 2 FamFG nicht einhalten können. Die Ladungsfrist müsse so bemessen sein, dass die Einhaltung der Zweiwochenfrist möglich sei.
Er beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen.
Die Beschwerdegegnerin hat keinen Antrag gestellt.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Obwohl die Antragsstellerin und Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, ist durch einseitig kontradiktorischen Beschluss zu entscheiden. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken der §§ 130 Abs. 2, § 113 Abs. 4 Nr. 5 FamFG. Der Ausschluss der Geständniswirkung gem. § 113 Abs. 4 Nr. 5 FamFG überlagert insoweit die in § 117 Abs. 2 FamFG enthaltene Verweisung auf § 539 ZPO. Zwar verweist § 117 Abs. 2 FamFG insgesamt auf § 539 ZPO, ohne § 539 Abs. 2 ZPO auszunehmen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die insoweit zum alten Recht überwiegend vertretene Meinung zur Säumnis im Rechtsmittelverfahren ändern wollte (so Bassenge/Roth/Walter, FamFG/RpflG, 12. Aufl. 2009, § 130 FamFG Rz. 7, der von einem Redaktionsversehen ausgeht; zum alten Recht s. Zöller/Philippi, 27. Aufl. 2009, § 612 Rz. 9 m.w.N.).
2. Der angefochtene Beschluss und das Verfahren ist gem. § 117 Abs. 2 S. 1 FamFG i.V.m. § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG Nordhorn zurückzuverweisen. Denn das Familiengericht hat in der Sache ein unzulässiges Teilurteil erlassen, weil es die Anträge zum Zugewinn und nachehelichen Unterhalt zu Unrecht nicht als Verbundsachen angesehen ...