Leitsatz (amtlich)
Die Verurteilung wegen einer wesentlich leichter wiegenden Straftat als angeklagt rechtfertigt eine teilweise Auferlegung der Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse nach § 465 Abs. 2 StPO auch unter dem Gesichtspunkt eines "fiktiven Teilfreispruchs" jedenfalls dann nicht, wenn der Angeklagte als Jugendlicher von den Kosten und Auflagen bereits nach § 74 JGG freigestellt worden ist und sein Pflichtverteidiger aus der Staatskasse honoriert worden ist.
Verfahrensgang
LG Oldenburg (Entscheidung vom 26.10.2005; Aktenzeichen 6 KLs 5/05) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Kosten und Auslagenentscheidung im Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 26.10.2005 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
Das Landgericht Oldenburg hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 26.10.2005 wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung durch die Untersuchungshaft erledigt ist. Von der Auferlegung von Kosten und Auslagen des Verfahrens wurde abgesehen. Angeklagt worden war der Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes und schwerer Brandstiftung.
Mit seiner fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde gegen die Kosten und Auslagenentscheidung erstrebt der Beschwerdeführer, dass seine notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden. Nach § 465 Abs. 2 StPO habe das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn der Angeklagte -wie hier wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt werde. Da sich die gesamte Hauptverhandlung auf die angeklagten Taten bezogen habe, und der Hinweis auf eine Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung erst in der Hauptverhandlung vom 9. September 2005 gegeben worden sei, erscheine es billig, die gesamten notwendigen Auslagen oder zumindest deren ganz überwiegenden Teil der Staatskasse aufzuerlegen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu wie folgt Stellung genommen:
Die große Jugendkammer hat gem. §§ 74, 109 Abs. 2 JGG davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und Auslagen des Verfahrens aufzuerlegen. Nach gefestigter Rechtsprechung fallen die notwendigen Auslagen des Angeklagten (z.B. die Kosten des Wahlverteidigers) nicht unter diese Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2007, § 465 Rn. 1; Ostendorf, JGG, 7. Aufl. 2007, § 74 Rn. 10 m.w.N.). Die Vorschriften über die Kosten und Auslagen aus dem Erwachsenenstrafrecht (§§ 464 ff StPO) finden aber über § 2 JGG im Jugendstrafverfahren entsprechende Anwendungen (Ostendorf a.a.O. Rn. 4).
Die Voraussetzungen des somit anwendbaren § 465 Abs. 2 StPO dürften jedoch entgegen der Auffassung der Verteidigung nicht vorliegen. Es ist - jedenfalls ohne Kenntnis der vollständigen Akten - nicht ersichtlich, dass dem Angeklagten durch zu seinen Gunsten ausgegangene Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere notwendige Auslagen entstanden sind. Allein der Umstand, dass die Verurteilung (wegen unterlassener Hilfeleistung) weniger schwer wiegt als der ursprüngliche Tatvorwurf (Mord und schwere Brandstiftung), genügt nicht (Meyer-Goßner a.a.O. Rn. 7 m.w.N.). Die Kosten des dem Angeklagten bestellten Pflichtverteidigers fallen unter die Auslagen des Verfahrens und sind daher ohnehin von der Staatskasse zu tragen.
Dem schließt sich der Senat an.
Der Umstand, dass die Verurteilung erheblich geringeres Gewicht besitzt, als der Anklagevorwurf, genügt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ 1982,80) als solcher nicht, um § 465 Abs. 2 StPO zugunsten des Angeklagten anzuwenden.
Auch das Vorliegen "besonderer Auslagen" im Sinne des § 465 Abs.2 StPO ist hier zu verneinen. Die Jugendkammer hat ersichtlich aufgrund einer Gesamtwertung der Hauptverhandlung entschieden. Der Hinweis auf eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung ist erst am 9.9.2005 und damit erst am 18. (von 23) Verhandlungstagen ergangen. Dass sich die letztlich nur feststellbare vergleichsweise geringe Strafbarkeit nach Überzeugung der Strafkammer bereits vor Schluss der Hauptverhandlung definitiv ergeben hätte, ist nicht ersichtlich und wird auch vom Verteidiger nicht vorgetragen. Erst recht kam eine Anklage vor dem Jugendrichter seinerzeit nicht in Betracht. Der Hinweis, in Kenntnis des Endergebnisses wäre mit viel weniger Aufwand prozessiert worden, ist unzutreffend.
Auch der Gesichtspunkt des "fiktiven Freispruchs" rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Es fehlt jedenfalls am Vorliegen einer Unbilligkeit, die in jedem Fall eine notwendige Voraussetzung der Anwendung von § 465 Abs. 2 StPO ist. Denn der Angeklagte hat außer den allenfalls geringen persönlichen Unkosten seiner Teilnahme an der Hauptverhandlung keinerlei Auslagen und Kosten zu tragen. Die trotz seiner Verurteilung erfolgte Freistellung von der Kostentragungspflicht nach § 74 JGG erfasst - worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutref...