Leitsatz (amtlich)

Zur Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Anwohner bei Geräuschimmissionen eines Musikfestivals von kommunaler Bedeutung.

 

Verfahrensgang

LG Aurich (Beschluss vom 05.07.2010; Aktenzeichen 5 O 642/10)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Aurich vom 5.7.2010, mit dem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Beschwerdewert wird auf bis zu 6.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin beabsichtigt, von Donnerstag, den 29.7.2010, bis Sonntag, den 1.8.2010, auf dem Gelände einer ehemaligen Baumschule in G ... ein Musikfestival zu veranstalten. Geplant sind Darbietungen diverser Musiker, die Freitag und Samstag teilweise bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages auftreten sollen. Die Hauptbühne befindet sich unter freiem Himmel. Daneben ist ein Festzelt vorgesehen, in dem Freitag und Samstag ebenfalls Musiker auftreten sollen; Donnerstagabend ist dort eine Veranstaltung mit einem Diskjockey geplant. In unmittelbarer Nähe des eigentlichen Festival-Geländes sind Park- und Campingflächen vorgesehen sind.

Die Gemeinde G. hat der Antragsgegnerin gem. § 12 Abs. 1 GastG den Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft aus Anlass des "..." gestattet. Zum Schutz der Nachbarschaft vor Lärmbelästigungen hat die Gemeinde der Antragstellerin aufgegeben, am Tag (bis 22.00 Uhr) einen Richtwert von 70 dB (A) einzuhalten. Für die Nächte von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag hat sie mit Blick auf die Zeiträume von 22.00 bis 24.00 Uhr jeweils einen Richtwert von 70 dB (A) vorgegeben, für die übrige Nachtzeit einen Richtwert von 55 dB (A).

Die Antragsteller wohnen in der Nähe des Festivalgeländes auf Grundstücken, die jeweils in ihrem Eigentum stehen. Der Antragsteller zu 3) betreibt auf seinem Grundstück außerdem ein Bestattungsunternehmen.

Die Antragsteller begehren den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin untersagt werden soll, durch das "..." mit Geräuschen auf ihre Grundstücke einzuwirken, die - gemessen 0,5 Meter vor den Fenstern ihrer Wohnhäuser - tagsüber (6.00 bis 22.00 Uhr) einen Beurteilungspegel von 55 dB (A) und eine Geräuschspitze von 75 dB (A) sowie nachts (22.00 bis 6.00 Uhr) einen Beurteilungspegel von 40 dB (A) und eine Geräuschspitze von 50 dB (A) überschreiten. Überdies verlangen sie von der Antragsgegnerin, Abbauarbeiten am Sonntag, den 1.8.2010, zu unterlassen. Parallel dazu gehen sie auf dem Verwaltungsrechtsweg gegen die besagte gaststättenrechtliche Gestattung der Gemeinde G. vor.

Das LG Aurich hat durch Beschluss vom 5.7.2010 den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung mit der Begründung abgelehnt, die Antragsteller hätten einen Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Gegen den Beschluss des LG, der den Antragstellern am 8.7.2010 zugestellt worden ist, haben diese mit einem am 14.7.2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Das LG hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässig. In der Sache musste ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.

1. Dem LG ist darin beizupflichten, dass den Antragstellern die geltend gemachten Abwehransprüche nicht zustehen. Insbesondere können die Antragsteller ihr Begehren nicht auf § 1004 BGB stützen. Die Antragsteller sind gem. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB verpflichtet, die Geräuschimmission, die von dem Festival "..." zu erwarten sind, als unwesentliche Einwirkung im Sinne dieser Vorschrift zu dulden. Auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen.

2. Die gegen den Beschluss des LG vorgebrachten Einwände vermögen den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung nicht zu rechtfertigen.

a) Der Verweis der Antragsteller auf die Immissionsrichtwerte der Technischen Anleitung Lärm 1998 (TA Lärm) ist nicht geeignet, eine wesentliche Beeinträchtigung i.S.d. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zu begründen.

aa) Die TA Lärm besitzt keine unmittelbare Geltung für nicht genehmigungsbedürftige Freizeitanlagen sowie Freiluftgaststätten (Ziff. 1 lit. b TA Lärm). Allerdings bestimmt die Niedersächsische Freizeitlärm-Richtlinie vom 8.1.2001 unter Ziff. 2, dass Freizeitanlagen wie nicht genehmigungsbedürftige gewerbliche Anlagen im Sinne der TA Lärm 1998 betrachtet werden. Zu den Freizeitanlagen gehören insbesondere Gründstücke oder Flächen, auf denen im Freien oder in Zelten Diskothekenveranstaltungen, Live-Musik-Darbietungen, Rockkonzerte etc. stattfinden (Ziff. 1 Satz 4 Nds. Freizeitlärm-Richtlinie).

Die Niedersächsische Freizeitlärm-Richtlinie bildet zwar keine Verwaltungsvorschrift i.S.d. § 906 Abs. 1 Satz 3 BGB. Doch kann sie - ebenso wie die Hinweise des Länderausschusses für Immissionsschutz (vgl. BGH NJW 2003, 3699, 3700) - den Gerichten als Hilfe bei der Entscheidung d...

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