Leitsatz (amtlich)
Bei Messungen mit dem Gerät Leivtec XV 3 handelt es sich nicht um ein standardisiertes Verfahren. Festhaltung an Senat, Beschluss vom 19.7.2021, 2 Ss (OWi) 170/21, juris; gegen Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 17.8.2021, II OLG 26/21, juris)
Normenkette
OWiG
Verfahrensgang
AG Nordenham (Entscheidung vom 05.05.2021) |
Tenor
1. Auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichtes, wird der Beschluss des Amtsgerichts Nordenham vom 5.5.2021, mit dem der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Nordenham vom 14.1.2021 verworfen worden war, aufgehoben; eine Kostenentscheidung ist insoweit nicht veranlasst.
2. Das Verfahren wird gemäß § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen eingestellt.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 130 € verurteilt.
Die Geschwindigkeitsüberschreitung ist festgestellt worden durch eine Messung mit dem Gerät LEIVTEC XV3.
zu 1:
Der gemäß § 346 Abs. 2 StPO i. V. m. § 80 Abs. 4 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist begründet, da der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rechtzeitig begründet worden war.
Auf die zutreffenden Ausführungen der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft wird verwiesen.
zu 2:
I.
Der Senat hält eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG für sachgerecht.
Der Senat hat bereits entschieden, dass er das Messgerät Leivtec XV3 nicht mehr als standardisiertes Messverfahren ansieht (Senatsbeschluss vom 19. Juli 2021, 2 Ss (Owi) 170/21, juris - soweit in der Veröffentlichung dieses Beschlusses (zumindest derzeit) von einem "Geschwindigkeitsmessgerät Typ 1" die Rede ist, beruht dies auf einer vom Senat nicht beabsichtigten Anonymisierung; gemeint ist jeweils das Messgerät Leivtec XV3, wie sich auch aus dem Leitsatz der Entscheidung ergibt).
An dieser rechtlichen Beurteilung hält Senat auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes vom 17.08.2021 (II OLG 26/21, juris) fest.
II.
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht argumentiert primär damit, dass ein standardisiertes Messverfahren nach wie vor vorliege, da bei Messungen mit Fahrzeugen, die mit Reflektoren im Innenraum versehen seien, unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse - wenn auch ggf. mit Werten, die nicht der gefahrenen Geschwindigkeit entsprächen - zu erwarten seien.
Der Senat hält schon die Anknüpfung, die das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht vornimmt, für unzutreffend. Es kann nämlich nicht darauf ankommen, ob bei Fahrzeugen, bei denen sich Reflektoren im Innenbereich befinden, regelmäßig die gleichen Messergebnisse erzielt werden. Entscheidend ist vielmehr, dass Fahrzeuge, die mit der Geschwindigkeit "X" an einem Messgerät vorbeifahren, identische Messergebnisse ("X" +/- Toleranz) hervorrufen, unabhängig davon, ob sie im Innenraum reflektierende Flächen aufweisen oder nicht. Das ist aber nicht immer der Fall.
Im Übrigen löst das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht den Begriff des standardisierten Messverfahrens nach Auffassung des Senats in unzulässiger Weise von einer Richtigkeitsvermutung für derartige Messverfahren. Der BGH (St 39, 291, Rn. 28 bei juris) hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass eine absolute Genauigkeit von Geschwindigkeitsmessgeräten nicht möglich sei, der Tatrichter dem vielmehr durch die Zubilligung von Messtoleranzen Rechnung tragen müsse. Das bedeutet aber, dass grundsätzlich davon auszugehen ist, dass unter Berücksichtigung derartiger Messtoleranzen zutreffende Ergebnisse zu erwarten sind. Das ist aber nach den Feststellungen der PTB nicht in allen Konstellationen so.
Soweit das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seiner Entscheidung die Erwartung äußert, der Hersteller werde die Benutzer anweisen, Messungen die nach den Feststellungen der PTB fehlerbehaftet sein könnten, zukünftig nicht mehr vorzunehmen bzw. zu verwerten, ist diese Annahme unzutreffend. Die Firma Leivtec hat nämlich bereits am 05.07.2021 in einem Schreiben an ihre Kunden mitgeteilt, dass sie keinen Antrag auf Ergänzung der Bedienungsanleitung stellen werde.
Wenn das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht darauf verweist, dass die PTB die Bauartzulassung nicht zurückgenommen habe, beruht dies darauf, dass der PTB seitens des Herstellers mitgeteilt worden ist, dass dieser nicht beabsichtige, neue Geräte auf den Markt zu bringen. Wie die PTB dem Senat am 20. August 2021 mitgeteilt hat, sieht sie jedoch keine Möglichkeit, die Verwendung im Markt befindlicher Geräte zu unterbinden. Insoweit hätte eine Zurücknahme der Bauartzulassung keinerlei unmittelbare Auswirkung gehabt. (Zur Zeit der Geltung von § 25 a EO-AV hätte die Möglichkeit des Widerrufs der Zulas...