Leitsatz (amtlich)
Die allgemeine straßenrechtliche Streupflicht für Gehwege schützt keine Fahrradfahrer.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1; NStrG § 52
Verfahrensgang
LG Oldenburg (Aktenzeichen 5 O 1127/02) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 4.9.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des LG Oldenburg geändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Am Montag, den 17.12.2001, gegen 8:00 Uhr, befuhr die Zeugin S., eine Mitarbeiterin der Klägerin, mit dem Fahrrad den Verbindungsweg zwischen dem Place d' E. und dem Rathausplatz in D., wo sie wegen Glatteises zu Fall kam und sich verletzte. Wegen der von ihr geleisteten Lohnfortzahlung nimmt die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch. Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat nach Beweisaufnahme ein Grundurteil erlassen und die Beklagte dem Grunde nach zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte gem. § 52 Abs. 1 S. 3c) NStrG verpflichtet sei, innerorts bei Glätte die Gehwege, Fußgängerüberwege und gefährliche Fahrbahnstellen mit nicht unbedeutendem Verkehr zu streuen. Zwar bestehe gegenüber Radfahrern nur eine eingeschränkte Streupflicht. Hier lägen aber besondere Umstände vor, die ausnahmsweise eine Streupflicht begründeten.
Dagegen richtet sich die fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Berufung der Beklagten. Sie ist der Ansicht, dass es sich hier nicht um eine „gefährliche” Fahrbahnstelle i.S.d. § 52 Abs. 1 S. 3c) NStrG handele, so dass eine Streupflicht allenfalls gegenüber Fußgängern bestehe. Vom Schutzbereich einer gegenüber Fußgängern bestehenden Streupflicht seien Radfahrer aber nicht erfasst. Im Übrigen habe die Beklagte ihrer Streupflicht genügt, da sie ausweislich des Streubuchs am fraglichen Tag um 6:00 Uhr und um 9:00 Uhr gestreut habe. Dass dabei Streusalz und nicht Granulat o.ä. verwendet worden sei, sei entgegen der Auffassung des LG nicht zu beanstanden. Schließlich meint die Beklagte, dass sich die Klägerin ein Mitverschulden anrechnen lassen müsse.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
II. Die Berufung ist zulässig und begründet.
Nach den erstinstanzlichen Feststellungen, an deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), ist die Unfallstelle zur Unfallzeit nicht ausreichend gestreut gewesen. Die bei der Beklagten beschäftigten und für den Streudienst zuständigen Zeugen E. und M. hatten an den Unfalltag (verständlicherweise) keine konkrete Erinnerung. Aus dem in der Berufungsinstanz vorgelegten Streuplan (Bl. 80 d.A.) ergibt sich nur, dass am 17.12.2001 zwischen 6:00 Uhr und 9:00 Glatteis geherrscht hat und in diesem Zeitraum ein Streudienst eingesetzt war. Aus dem vom LG aufgrund der Beweisaufnahme festgestellten Umstand, dass zur Unfallzeit gegen 8:00 Uhr extreme Eisglätte herrschte, hat das LG rechtsfehlerfrei geschlossen, dass nicht bzw. nicht in ausreichendem Umfang gestreut worden ist.
Gleichwohl steht der Klägerin kein Schadensersatzanspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG zu. Denn die von der Beklagten verletzte Streupflicht bestand nicht gegenüber der Zeugin S. als Radfahrerin. Ausgangspunkt ist § 52 Abs. 1 S. 3c) NStrG. Danach gehört zur Straßenreinigungspflicht auch das Bestreuen der Gehwege, Fußgängerüberwege und der gefährlichen Fahrbahnstellen mit nicht unbedeutendem Verkehr. Radwege sind dort nicht aufgeführt. Radfahrer haben auf Radwegen, anders als Fußgänger auf Gehwegen und Fußgängerüberwegen, also keinen generellen Anspruch auf das Bestreuen des ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrsraums. Eine Streupflicht gegenüber der Zeugin S. bestand für die Beklagte also nur, wenn es sich bei dem von ihr befahrenen Verbindungsweg um eine „gefährliche Fahrbahnstelle” i.S.d. § 52 Abs. 1 S. 3c) NStrG handeln würde. Das ist jedoch zu verneinen. Gefährliche Fahrbahnstellen sind nach allgemeiner Auffassung solche, an denen Kraftfahrer erfahrungsgemäß bremsen, ausweichen oder sonst ihre Fahrtrichtung oder Geschwindigkeit ändern, weil gerade diese Umstände bei Schnee und Eisglätte zum Schleudern oder Rutschen und damit zu Unfällen führen können (vgl. BGH v. 5.7.1990 – III ZR 217/89, BGHZ 112, 74 [84] = MDR 1990, 1096; BGH, VersR 1964, 335f; VersR 1975, 349; Wendrich, Kommentar zum NStrG, § 52 Rz. 4 m.w.N.). Solche Gefahrenpunkte weis...