Entscheidungsstichwort (Thema)
Behördliche Vaterschaftsanfechtung in Übergangsfällen nach Gesetzesänderung
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Anfechtung der Vaterschaft durch die zuständige Behörde gem. § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB n.F. bedarf es nicht der Bestellung eines Ergänzungspflegers gem. § 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB.
2. Zu den Voraussetzungen einer sozial-familiären Beziehung i.S.v. § 1600 Abs. 4 BGB, die die behördliche Vaterschaftsanfechtung ausschließt.
3. In Altfällen beginnt der Lauf der Jahresfrist des § 1600b Abs. 1a BGB nicht vor dem 1.6.2008 (Art. 229 § 16 EGBGB); davon unberührt bleibt die absolute Fünf-Jahres-Frist des § 1600b Abs. 1a S. 3 BGB.
4. Die gesetzliche Regelung für Altfälle, die in § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB, Art. 229 § 16 EGBGB getroffen worden ist, ist als unechte Rückwirkung mit dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot vereinbar.
Normenkette
BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4, § 1600b Abs. 1a S. 3, § 1629 Abs. 2 S. 3, § 1796; EGBGB Art. 229 § 16
Verfahrensgang
AG Meppen (Urteil vom 23.12.2008; Aktenzeichen 16 F 271/08 KI) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten zu 1. gegen das Urteil des AG Meppen vom 23.12.2008 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird im Hinblick auf das Erfordernis einer Ergänzungspflegschaft zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um eine behördliche Vaterschaftsanfechtung nach dem am 1.6.2008 in Kraft getretenen § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB.
Die Mutter des Beklagten zu 1. reiste als serbische Staatsangehörige am 29.7.1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt 1993 eine Aufenthaltserlaubnis. 1997 heiratete sie einen serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigen. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Mit Bescheid vom 21.11.2002 wurde ein weiterer Asylantrag abgelehnt. 2004 wurde die Ehe geschieden. Die familiäre Lebensgemeinschaft blieb jedoch weiter bestehen. Am ... 2006 wurde der Beklagten zu 1. geboren. Am 6.3.2006 erkannte der Beklagte zu 2. vor dem Standesamt Meppen die Vaterschaft für den Beklagten zu 1.an, der damit deutscher Staatsangehöriger wurde. Seine Mutter erhielt am 31.7.2007 eine befristete Aufenthaltserlaubnis gem. § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Auf ihren Verlängerungsantrag hin wurde vorübergehend eine Fiktionsbescheinigung gem. § 84 Abs. 4 AufenthG erteilt. Die endgültige Bescheidung des Antrags hängt von dem Ergebnis dieses Verfahrens ab.
Im Verfahren um die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis legte die Mutter einen Vaterschaftsnachweis der Firma ... vom 19.7.2007 vor. Danach ist praktisch erwiesen, dass der Beklagte zu 2. der Vater des Beklagten zu 1. ist.
Im Rahmen eines Strafverfahrens gegen die Mutter des Beklagten zu 1. wegen Verstößen gegen das Ausländergesetz wurde nach Bestellung eines Ergänzungspflegers ein Abstammungsgutachten eingeholt. Dem Gutachten der ... vom 17.3.2008 zufolge ist die Vaterschaft des Beklagten zu 2. ausgeschlossen. Mit Bescheid vom 10.9.2008 wurde das Strafverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da ein strafbares Verhalten nicht vorliege.
Der Kläger hat vorgetragen, es bestehe keine sozial-familiäre Bindung der Parteien. Dies ergebe sich sowohl aus der Zeugenaussage des Beklagten zu 2. im Ermittlungsverfahren als auch aus der Tatsache, dass die familiäre Lebensgemeinschaft zwischen der Mutter des Beklagten zu 1. und ihrem geschiedenen Ehemann ununterbrochen bestehe. Der Vaterschaftsnachweis der Firma ... sei manipuliert und daher unverwertbar.
Nach Ansicht des Beklagten zu 1. hat eine sozial-familiäre Beziehung bestanden. Die Parteien hätten sich so oft wie möglich gesehen. Das Abstammungsgutachten vom 17.3.2008 sei als Beweismittel nicht verwertbar, weil eine Strafbarkeit von Anfang an nicht vorgelegen habe und zudem das Gutachten der Fa ... Zweifel an dessen Richtigkeit hervorriefen. Er meint, dass für Geburten vor Inkrafttreten der Neuregelung am 1.6.2008 kein behördliches Anfechtungsrecht gegeben sei. Zudem sei die Anfechtungsfrist verstrichen. Der Kläger habe bereits im Dezember 2006 Kenntnis der anfechtungsbegründenden Tatsachen gehabt.
Mit dem angefochtenen Urteil stellte das AG Meppen fest, dass der Beklagte zu 2. nicht Vater des Beklagten zu 1. sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das behördliche Anfechtungsrecht auch für Vaterschaftsanerkennungen vor Inkrafttreten von § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB gelte. Eine sozial-familiäre Beziehung zwischen den Parteien sei nicht festzustellen. Im Hinblick auf das Nichtvorliegen einer Vaterschaft des Beklagten zu 2. sei das Abstammungsgutachten vom 17.3.2008 als Beweismittel verwertbar; der Vaterschaftsnachweis der Firma ... stehe dem nicht entgegen, da sich im Strafverfahren eine Manipulation des Tests herausgestellt habe.
Hiergegen wendet sich der Beklagte zu 1. mit der Berufung und vertritt die Ansicht, dass sowohl § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB als auch Art. 229 § 16 EGBGB gegen die Verfassung verstießen. Eine Anwendung des behördlichen Anfechtungsrechts auf Anerkennungen vor dem 1.6.2008 verstoße gegen das Rückwirkungsverbot von Gesetzen. Art. 229 § 16 EGBGB verl...