Leitsatz (amtlich)
1. In Arzthaftungssachen hat eine Einzelrichterübertragung in aller Regel auszuscheiden.
2. Das Unterbleiben einer ausreichenden plastisch-chirurgischen Maßnahme für einen spannungsfreien Verschluß einer pfenniggroßen Wunde am Finger ist als grober Behandlungsfehler zu bewerten.
3. Solche plastisch-chirurgischen Maßnahmen müssen in der ärztlichen Dokumentation festgehalten werden.
Verfahrensgang
LG Osnabrück (Entscheidung vom 13.12.1988; Aktenzeichen 2 O 223/88) |
Tenor
Auf die Berufung wird das Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 13. Dezember 1988 geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Juli 1988 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der durch den Schleifunfall vom 18. März 1986 verursachten Verletzung des zweiten rechten Fingers in der Zeit vom 18. bis 27. März 1986 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
Der weitergehende Feststellungsantrag (immaterielle Zukunftsschäden) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Beklagte zu 10/11 und der Kläger
1/11 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Ersatz immaterieller Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht von Zukunftsschäden, die er aus einer unzureichenden Erstversorgung und Weiterbehandlung einer Fingerschnittwunde herleitet.
Am 18.03.1986 erlitt der Kläger im Betrieb seines Arbeitgebers der Firma K einen Schleifunfall an der Streckseite des Mittelgelenks in Grundgelenksnähe des Zeigefingers der rechten Hand. Der Beklagte stellte als Durchgangsarzt einen gut pfenniggroßen Hautdefekt ohne Knochenverletzung fest. Er säuberte die bis auf den Bandapparat gehende Wunde, vernähte sie nach Auftragen einer entzündungshemmenden Salbe und legte einen Verband mit einer Einfingerschiene. Anschließend behandelte er den Beklagten arbeitstäglich bis zum 27.03.1986. Die aufgetretene Infektion der Wunde behandelte der Beklagte mit antibiotischen Salben und Verbandswechseln.
Am 27.03.1986 wurde der Kläger im Marienhospital O, zu dem er sich nachmittags aus eigenem Entschluß begeben hatte, stationär aufgenommen. Nach 2 Tagen mußte die Wunde einer umfangreichen operativen Revision unterzogen werden, wobei nekrotisches Gewebe - u. a. ein Teil des Streckapparates - entfernt wurde. Nach der Abdeckung des Hautdefektes durch eine Hauttransplantation am 08.04.1989 konnte der Kläger am 15.04.1989 aus der stationären in eine ambulante Behandlung entlassen werden. Der rechte Zeigefinger ist im Mittelgelenk in einer Beugestellung von 55 Grad versteift. Wegen der weiteren Einzelheiten des Heilungsverlaufs wird auf die Behandlungsunterlagen des Beklagten und des Marienhospitals verwiesen.
Der Kläger hält den Beklagten für die eingetretene Infektion und die Teilversteifung des Zeigefingers verantwortlich. Dazu hat er behauptet:
Bereits am 21.03.1986 habe er starke Druckschmerzen verspürt und eine Fingerrötung bemerkt. Am 25.03.1986 sei ein regelrechter Verwesungsgeruch entstanden. Das Risiko einer Infektion sei bei seiner Verletzung offenkundig gewesen. Die Wunde habe allein durch Hautnähte nicht völlig verschlossen werden können. Weiterhin hätte eine zusätzliche antibiotische Abschirmung stattfinden müssen. Spätestens ab dem 24.03.1986 habe der Beklagte erkennen müssen, daß seine bisherige konservative Behandlung nicht ausreichend gewesen sei.
Die Höhe des Schmerzensgeldes von mindestens 6.000,-- DM rechtfertige sich daraus, daß er als Rechtshänder eine bleibende Versteifung des rechten Zeigefingermittelgelenks seiner Arbeitshand erlitten habe mit 2 an den Kanten des Hauttransplantates sichtbar entstellenden Narben. Hinzu käme die während der Behandlung des Beklagten heftigen Schmerzen sowie die später erforderlich gewordenen 2 Operationen. Er habe zwar seinen Arbeitsplatz wieder einnehmen können, aber eine Verschlechterung seines Zustandes und ein eventueller späterer Erwerbsschaden seien nicht auszuschließen.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit Zustellung der Klage zu zahlen,
2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm einen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Behandlung der durch den Schleifunfall vom 18.03.1986 verursachten Verletzung durch den Beklagten in der Zeit vom 18.03.1986 bis 27.03.1986 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist dem Vorwurf einer medizinisch unzureichenden Behandlung entgegengetreten und hat dazu behauptet:
Die von ihm vorgenommene konservative Behandlung entspreche einer ordnungsgemäßen Versorgung. Die Ursache für eine Fingerteilversteifung könne einmal darin liegen, daß der Kläger während de...