Leitsatz (amtlich)

Unfallversicherungsrechtlicher Haftungsausschluss bei fremdnütziger Pannenhilfe durch Anschieben.

 

Verfahrensgang

LG Aurich (Urteil vom 30.01.2015; Aktenzeichen 3 O 755/14)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 30.1.2015 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des LG Aurich wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klägerin die in beiden Instanzen durch die Streithilfe verursachten Kosten zu tragen hat.

Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten in dessen Funktion als A.-Pannenhelfer auf Schmerzensgeld in Anspruch.

Am 20.11.2013 um die Mittagszeit besuchte die in H. wohnende Klägerin ihre Schwester in E.. Den Weg nach Emden legte sie in einem Pkw der Marke VW, Typ Sharan, zurück. Das Fahrzeug wird mit einem 2-Liter-Dieselmotor angetrieben; Eigentümer und eingetragener Halter ist der Ehemann der Klägerin.

Als die Klägerin nach dem Besuch ihre Fahrt fortsetzen wollte, sprang der Pkw nicht an. Daraufhin benachrichtigte sie telefonisch die A.-Pannenhilfe. Nachdem der Beklagte als Pannenhelfer eingetroffen war, untersuchte er den Sharan und stellte fest, dass der Anlasser defekt war. Um den Motor zu starten, schob er das Fahrzeug zunächst gemeinsam mit der Klägerin an. Dieser Versuch misslang.

Danach kam die Schwester hinzu, der die Klägerin einen Besuch abgestattet hatte. Außerdem fanden sich eine weitere Schwester der Klägerin und ein Postzusteller bei dem Pkw ein. Nunmehr schoben die Klägerin, ihre Schwestern und der Postzusteller den Sharan an. Der Beklagte half an der geöffneten Fahrertür mit. Als der Pkw genug Fahrt aufgenommen hatte, setzte der Beklagte sich auf den Fahrersitz. Die Zündung war zu diesem Zeitpunkt bereits eingeschaltet. Der Beklagte betätigte die Kupplung und legte den Gang ein. Daraufhin sprang der Motor an.

Während dieses Vorgangs kamen die Personen, welche den Wagen angeschoben hatten, zu Fall. Die Klägerin zog sich dabei eine Nasenbeinfraktur, Monokelhämatome beidseits, Schürfwunden im Gesicht und Hämatome an der linken Hand zu.

Im Verlauf des Rechtsstreits hat der Beklagte dem Haftpflichtversicherer, bei dem der Sharan im Zeitpunkt des Unfalls versichert gewesen ist, den Streit verkündet. Der Haftpflichtversicherer ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten.

Die Klägerin hat behauptet, sie sei deshalb gestürzt, weil der Sharan nach dem Zünden des Motors einen "riesigen Satz" gemacht habe. Veranlasst worden sei das Anschieben durch den Beklagten. Diesem sei bewusst gewesen, dass ein VW Sharan mit dem oben beschriebenen Antrieb "springe", wenn man den Motor - wie hier - in kaltem Zustand zünde. Über die daraus resultierende Gefahr, so die Klägerin, hätte der Beklagte sie und die übrigen Helfer vor dem Anschieben informieren müssen. Sie hätte dann von dem Vorhaben Abstand genommen und darauf bestanden, den Pkw abzuschleppen. Letzteres wäre mit der Abschleppstange, die der Beklagte - unstreitig - bei sich geführt habe, möglich gewesen. Das pflichtwidrige Vorgehen des Beklagten belege "im Grunde", dass er ihre Verletzungen vorsätzlich herbeigeführt habe.

Vor dem LG hat die Klägerin ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld (Größenordnung: 5.500,00 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.3.2014 begehrt. Ferner hat sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 EUR geltend gemacht.

Der Beklagte und die Streithelferin haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat in Abrede gestellt, dass der Sharan einen "riesigen Satz" nach vorn gemacht habe. Er, der Beklagte, habe sofort die Kupplung getreten, als er das Starten des Motors wahrgenommen habe. Der Sturz der Klägerin sei gar nicht durch das Anspringen des Motors verursacht worden. Denkbar sei, dass die Klägerin oder ein anderer Helfer ohne äußere Einwirkung gestrauchelt sei und die übrigen Personen mitgerissen habe. Keinesfalls habe er die Klägerin schuldhaft in Gefahr gebracht.

Ein Anschleppen des Pkw sei nicht möglich gewesen. Die Abschleppstange, die sich in dem A.-Fahrzeug befunden habe, sei für den Sharan nicht geeignet gewesen. Das Anschieben stelle, wenn der Anlasser defekt sei, auch bei einem Fahrzeug mit einem 2-Liter-Dieselmotor ein probates Mittel der Pannenhilfe dar.

Die Streithelferin hat die Ansicht vertreten, die Klage scheitere jedenfalls an dem Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Die Klägerin sei als Mithalterin des Sharans und damit als Unternehmerin im Sinne des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zu qualifizieren. Der Beklage habe in dem Unternehmen der Klägerin Pannenhilfe geleistet. Insoweit hafte er gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nur für vorsätzlich herbeigeführte Personenschäden. Ein vorsätzliches Handeln sei jedoch nicht gegeben. Der Beklagte habe überhaupt nicht damit gerechnet, dass durch das Anschieben eine Person zu Schaden kom...

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