Leitsatz (amtlich)
1. Verschweigt ein VN bei Beantragung einer Unfallversicherung einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II und eine infolgedessen einige Wochen zuvor durchgeführte Amputation der linken Kleinzehe, so ist von einer arglistigen Täuschung auszugehen.
2. Der Versicherer muss sich das privat erworbene Wissen eines Vorstandsmitglieds vom Gesundheitszustand des VN nur dann zurechnen lassen, wenn es in die Sachbearbeitung unmittelbar eingebunden ist.
3. Die Geltendmachung einer Invalidität setzt voraus, dass der VN einen konkreten, durch bestimmte Symptome gekennzeichneten Dauerschaden benennt. Hierzu reicht weder die Angabe in der Schadenanzeige "Schädeltrauma, Beine (?)" aus noch eine anschließende Korrespondenz über ein Krankenhaustagegeld.
Verfahrensgang
LG Oldenburg (Urteil vom 15.05.2009; Aktenzeichen 13 O 2924/08) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 15.5.2009 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des LG Oldenburg wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussberufung des Beklagten wird das genannte Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht Ansprüche aus einem Vertrag über eine Unfallversicherung geltend. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Beklagten für die Unfallversicherung (AUB 2001) zugrunde. Der Vertrag kam auf einen Antrag des Klägers vom 10.4.2002 zustande. Zu dieser Zeit litt der Kläger bereits an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ II und an Bluthochdruck. Außerdem war ihm kurz zuvor, nämlich am 26.2.2002, die linke Kleinzehe wegen diabetesbedingter Nekrosen amputiert worden. In dem vom Kläger unterschriebenen Antragsformular ist die Frage, ob die zu versichernde Person vollständig gesund und ohne körperliche Gebrechen ist, mit "ja" beantwortet.
Am 20.2.2005 rutschte der Kläger auf Glatteis aus und fiel auf den Hinterkopf. Der Unfall ereignete sich vor dem Gerätehaus der Freiwilligen Feuerwehr T. Der Kläger ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und leistete an dem fraglichen Tag allgemeinen Feuerwehrdienst. Hauptberuflich war der Kläger im Unfallzeitpunkt als selbständiger Gastwirt tätig.
Durch den Sturz erlitt der Kläger u.a. ein Schädelhirntrauma 2. Grades mit frontaler Schädelfraktur sowie frontaler Subarachnoidal- und Subduralblutung. Wegen der Verletzungen wurde er vom 20.2.2005 bis zum 10.3.2005 stationär in der A. Klinik in W. behandelt. Daran schloss sich vom 10.3.2005 bis zum 28.4.2005 eine - ebenfalls wegen der Folgen des Sturzes notwendig gewordene - stationäre Rehabilitationsbehandlung im Rehabilitationszentrum O. an.
Am 1.6.2005 begann der Kläger ein ambulantes neuropsychologisches Training in der Praxis des Neurologen Dr. S., das er - mit Unterbrechungen - mindestens bis in das Jahr 2006 hinein fortsetzte. Weitere stationäre Rehabilitationsmaßnahmen wurden vom 8.11.2005 bis zum 6.12.2005 und vom 25.4.2006 bis zum 1.6.2006 jeweils in der Klinik am R. in B. Im Juli 2006 wurde dem Kläger der rechte Unterschenkel amputiert.
Am 13.12.2007 erhielt der Beklagte erstmals eine Schadenanzeige betreffend den besagten Sturz im Februar 2005. In seinem Antwortschreiben vom 17.12.2007 wies der Beklagte darauf hin, dass eine verzögerte Unfallanzeige zu einer Leistungsfreiheit des Versicherers führen könne, kündigte aber gleichzeitig eine unverbindliche Prüfung an.
Im Dezember 2007 führte Rechtsanwalt Dr. S. im Auftrag des Klägers ein Telefonat mit Herrn S. aus dem Haus des Beklagten. In dem Telefonat sicherte Herr S. zu, dass der Beklagte bis zum 31.12.2008 darauf verzichten werde, die Einrede der Verjährung zu erheben. Den Inhalt des Telefonats fassten die Bevollmächtigten des Klägers in einem an den Beklagten gerichteten Schriftsatz vom 21.12.2007 zusammen.
Unter dem 29.4.2008 erklärte der Beklagte über seine Bevollmächtigten die Anfechtung des mit dem Kläger geschlossenen Unfallversicherungsvertrages; er machte geltend, der Kläger habe ihn bei Abschluss des Vertrages über seinen damaligen Gesundheitszustand arglistig getäuscht. Leistungen aus dem Versicherungsvertrag erhielt der Kläger nicht.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, bei ihm habe sich innerhalb eines Jahres nach dem Sturz vom 20.2.2005 eine Invalidität im Sinne des Unfallversicherungsvertrages eingestellt. Dazu hat er behauptet, die unstreitig durch den Sturz hervorgerufenen Beschwerden, namentlich die Konzentrationsstörungen, die Antriebslosigkeit, der Kopfschmerz und der Schwindel, hätten sich bereits innerhalb eines Jahres nach dem Unfall als Dauerfolgen eingestellt. Weiter habe sich auf Grund der langen Liegezeiten während der stationären Behandlung in sein...