Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschiebehaftanordnung bei behaupteter Minderjährigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Der Haftrichter darf die beantragte Haftdauer nicht von sich aus überschreiten.
2. Bei Minderjährigkeit der Betroffenen ist die Anordnung von Abschiebehaft nur geboten und zulässig, wenn anderweitige geeignete Sicherungsmaßnahmen, etwa die Unterbringung in einem Jugendheim, nicht gegeben sind. Dies hat die antragstellende Behörde zu prüfen und in ihrem Antrag umfassend darzulegen.
3. Bestehen Zweifel, ob die Betroffene minderjährig ist, sind hohe Anforderungen an die Ausfüllung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu stellen, das Gericht ist zur umfassenden Aufklärung verpflichtet.
Normenkette
FEVG §§ 3, 6-7; FGG § 12
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Beschluss vom 24.11.2005; Aktenzeichen 4 T 270/05) |
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die Anordnung von Abschiebungshaft (Sicherungshaft) ggü. der Betroffenen durch Beschluss des AG Pasewalk vom 30.10.2005, aufrechterhalten durch Beschluss des LG Neubrandenburg vom 24.11.2005, rechtswidrig war.
2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Betroffenen hat die Antragstellerin zu tragen.
3. Der Beschluss des LG Neubrandenburg vom 24.11.2005 - 4 T 270/05 - wird abgeändert und der Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren vor dem LG Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. bewilligt.
Gründe
I. Die Betroffene ist nach eigenen Angaben vietnamesische Staatsbürgerin. Sie wurde mit weiteren vietnamesischen Staatsbürgern am 29.10.2005 gegen 6.30 Uhr in der Ortslage Berndshof in der Nähe von Ueckermünde in einem Mercedes Benz 100 D im Laderaum entdeckt. Personaldokumente oder sonstige Legitimationspapiere führte sie nicht mit sich. In der Annahme, die Betroffene sei über die polnische Grenze eingereist, sollte sie dorthin zurückgeschoben werden. Zur Sicherung der Abschiebung beantragte die Beteiligte zu 2) die Anordnung von Sicherungshaft für längstens vier Tage.
Die Betroffene beantragte am 29.10.2005 die Gewährung von Asyl. Der Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2.12.2005 abgelehnt.
Mit Beschluss vom 30.10.2005 ordnete das AG Pasewalk für die Betroffene sowie weitere Personen Abschiebehaft für längstens sechs Wochen an. Die Haftanordnung sei erforderlich, weil geprüft werden müsse, ob das Asylverfahren für die Betroffene durch die Bundesrepublik Deutschland durchzuführen ist. Daher könne eine Zurückschiebung nach Polen nicht sofort erfolgen. Ohne eine Haftanordnung aber würde die spätere Zurückschiebung erheblich erschwert. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss Bezug genommen.
Hiergegen legte die Betroffene am 14.11.2005 sofortige Beschwerde mit der Begründung ein, sie sei am 25.5.1995 geboren und daher zehn Jahre alt. Damit sei sie Kind i.S.d. Gesetzes. Sie sei ohne gesetzliche Vertretung. Ihre Eltern und ihre Großmutter seien verstorben. Dies habe das AG bei der Haftanordnung unberücksichtigt gelassen.
Die Beteiligte zu 2) führte im Beschwerdeverfahren aus, dass die Angaben der Betroffenen zu ihrem Alter im Widerspruch zu ihrem äußeren Erscheinungsbild und zur Ausprägung zumindest der sekundären Geschlechtsmerkmale stünden. Das Alter von zehn Jahren stehe im Widerspruch zu dem Umstand, dass sich die Betroffene mit polnischen Schleusern und in der Dienststelle der Beteiligten zu 2) mit polnischen Beamten ein Gespräch in polnischer Sprache führte und nach eigenen Angaben den Schulabschluss der sechsten Klasse habe. Ihre Altersangabe sei auch deshalb nicht glaubwürdig, weil sie zu ihren Eltern in ihrer Vernehmung widersprüchliche Angaben machte. Die Betroffene sei Frau Dr. med. S. in P. vorgestellt worden. Diese habe ihr Alter auf achtzehn Jahre geschätzt. Ein vietnamesischer Dolmetscher habe das Alter der Betroffenen auf zwanzig Jahre geschätzt. Gegen die Altersangabe spreche auch der Umstand, dass die Betroffene als Vermittler zwischen der Gruppe der Vietnamesen und den polnischen Schleusern fungiert habe.
Mit Beschluss vom 14.11.2005 bestellte das AG Eisenhüttenstadt für die Betroffene einen Vormund. Das Gericht ging davon aus, dass die Betroffene minderjährig ist.
Auf Veranlassung des LG wurde durch eine radiologische Praxis in Eisenhüttenstadt die linke Hand der Betroffenen geröntgt. In Auswertung der Röntgenaufnahme teilten die Ärzte mit, dass das Handskelett vollständig verknöchert und ohne offene Wachstumsfugen sei, weshalb es sich mindestens um eine Frau älter als achtzehn Jahre handele.
In ihrer Anhörung vor dem LG Neubrandenburg am 23.11.2005 gab die Betroffene zunächst an, 1995 geboren zu sein. Nachdem sie sodann auf nochmaliges Befragen erklärte, 1992 geboren zu sein, benannte sie ihr Geburtsjahr nach Hinweis des Gerichts auf die Widersprüchlichkeit ihrer Angaben erneut mit 1995. Dann erklärte sie wiederum, dreizehn Jahre alt zu sein. Sie habe vier Jahre die Schule besucht. Sie spreche nur chinesisch und vietnamesisch.
Mit Beschluss vom 24.11.2005 wies das LG Neubrandenbur...