Leitsatz (amtlich)
1) Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV rechtfertigt allein kein gänzliches Absehen von einer Vergabe nach wettbewerblichen Grundsätzen (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB). Das auf der Rechtsfolgenseite eingeräumte Ermessen nötigt vielmehr dazu, grundsätzlich auch in den Fällen der Notvergabe zumindest mehrere Angebote einzuholen und damit wenigstens "Wettbewerb light" zu eröffnen. Nur als ultima ratio kommt eine Direktvergabe an einen von vornherein alleinig angesprochenen Marktteilnehmer in Betracht.
2) Ist der Tatbestand des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV erfüllt, die "konkurrenzlose" Direktbeauftragung des von vornherein exklusiv angesprochenen Unternehmens aber nach den vorbezeichneten Grundsätzen ermessensfehlerhaft, so ist der Vertrag nach Maßgabe des § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam. Dass der öffentliche Auftraggeber in einem solchen Fall den Auftrag auch ohne Ausschreibung rechtmäßig hätte vergeben können, ist nicht ausschlaggebend.
Normenkette
GWB § 97 Abs. 1 S. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2; VgV § 14 Abs. 4 Nr. 3
Tenor
1. Unter Abänderung des Beschlusses der 3. Vergabekammer bei dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit Mecklenburg-Vorpommern vom 03.07.2020 (Az.: 3 VK 3/20) wird auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin festgestellt, dass der streitgegenständliche - zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossene - Vertrag vom 07.05.2020 über die Durchführung von Corona-Tests bei Bewohnern und Beschäftigten in Heimen und Pflegeeinrichtungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern unwirksam ist.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des sofortigen Beschwerdeverfahrens vor dem Senat und des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.
4. Die Hinzuziehung rechtsanwaltlicher Bevollmächtigter durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.
5. Der Gegenstandswert wird auf bis zu [...] EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit eines direkt vergebenen Auftrags zur Durchführung von anlasslosen Corona-Tests in Alten- und Pflegeheimen.
Die Antragstellerin betreibt ein labormedizinisches Versorgungszentrum. Es handelt sich dabei um ein medizinisch akkreditiertes Labor, das seinen Einsendern, zu denen niedergelassene Ärzte und Krankenhäuser gehören, umfassende labormedizinische Dienstleistungen bietet. Insbesondere führt die Antragstellerin anlassbezogene Corona-Tests bei einschlägiger Symptomatik durch. Mit E-Mail vom 24.04.2020, vorgelegt im Beschwerderechtszug als Anlage BF 5 (Band II Blatt 21 d.A.), trat die Antragstellerin wie folgt an die Ministerpräsidentin heran:
"(...) Unsere Test-Kapazitäten in Mecklenburg-Vorpommern sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Wir verfügen durch frühzeitige Investitionen in moderne PCR-Technologie, Validierung der Testverfahren und Qualifikation aller Beschäftigten über Ressourcen, um durch deutlich mehr Corona-Tests die Pandemie einzudämmen. Um allein das Potenzial des [...] als konkretes Beispiel zu nehmen: Wir können täglich [...] SARS-CoV-2-PCR-Tests im Normalschichtbetrieb durchführen und bei Bedarf auf bis zu [...] Corona-Proben pro Tag steigern, wenn wir in die Testprogramme des Landes einbezogen werden. Die niedergelassenen Laborarztpraxen in Mecklenburg-Vorpommern haben einen Berufsverband gegründet, um durch gebündelte Testkapazitäten an der Eindämmung der COVID19-Pandemie mitzuwirken. Als [...] habe ich das Mandat als Sprecher, und wir freuen uns darauf, die erfolgreichen Maßnahmen ihrer Landesregierung mit flächendeckenden Corona-Testungen zu unterstützen. (...)"
Die Beigeladene, die seinerzeit noch als "[...] AG" firmiert hat und infolge eines Rechtsformwechsels im laufenden Nachprüfungs- bzw. Beschwerdeverfahren nunmehr die aus dem Rubrum ersichtliche Bezeichnung führt, hatte dem Chef der Staatskanzlei mit der im Beschwerderechtszug als Anlage BG 1 vorgelegten E-Mail vom 15.03.2020 (Band II Blatt 103 f. d.A.) mitgeteilt:
"Wir haben derzeit zu geringe Testkapazitäten in Deutschland um flächendeckend - neben den Verdachtsfällen - noch parallel die infrastrukturrelevanten Mitarbeiter regelmäßig (...) zu untersuchen, um diesen aber auch der Umgebung die Sicherheit zu geben, dass diese ihren Dienst ausüben können. (...) [...] will eine gesellschaftspolitische Verantwortung übernehmen, indem wir nicht nur unseren Mitarbeitern für die nächsten Wochen eine regelmäßige Covid-19 Testung anbieten, sondern ca. ab dem 23.03. auch täglich etwa [...] Mitarbeitern aus infrastrukturrelevanten Bereichen der öffentlichen Organisationen, und voraussichtlich ab dem 30.03. ca. [...] Personen."
In einem Rundschreiben des Bundeswirtschaftsministeriums vom 19.03.2020 zum Umgang mit den vergaberechtlichen Mechanismen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie heißt es auszugsweise...