Entscheidungsstichwort (Thema)

Nacherbenbestimmung für den Fall des gleichzeitigen Ablebens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bestimmen Eheleute in einem gemeinsamen Testament eine Nacherbfolge für den Fall des gleichzeitigen Ablebens spricht dies dafür, dass sie die Erbfolge nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens regeln wollten.

2. Im Wege der Testamentsauslegung kann auch der Fall erfasst werden, dass die Eheleute in kurzem zeitlichen Abstand versterben und der Überlebende zu einer neuerlichen Testamentserrichtung nicht in der Lage ist

3. Für den Fall des Versterbens im größeren zeitlichen Abstand lässt sich einer solchen Nacherbenbestimmung nur eine auch für diesen Fall geltenden Erbeinsetzung entnehmen, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, dass die Testierenden die Regelung dahin verstanden haben, dass diese auch das Versterben in erheblichem zeitlichem Abstand umfassen sollte, wobei sich hierfür allerdings eine Grundlage in der Verfügung von Todes wegen selbst finden lassen muss.

 

Verfahrensgang

AG Greifswald (Aktenzeichen 9 VI 575/19)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts

Greifswald vom 17.04.2020 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung des am 11.06.2019 von der Beteiligten zu 1) beantragten gemeinschaftlichen Erbscheins vorliegen, der die Beteiligten zu 1), 2) und 3) jeweils als gesetzliche Erben zu 1/3 ausweist.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Eine Erstattung außer- gerichtlicher Kosten findet nicht statt.

 

Gründe

I. Die Erblasserin verstarb am 30.03.2019. Sie war in erster Ehe mit H. P. verheiratet. Die Ehe wurde mit Urteil vom 09.05.1974 geschieden. Aus der Ehe gingen die Beteiligten zu 1), zu 2) und zu 3) hervor.

In zweiter Ehe war die Erblasserin mit H. A. F. B. verheiratet, der vorverstorben ist. Aus dieser Ehe gingen keine Kinder hervor. Aus der ersten Ehe des Herbert B. gingen die Beteiligten zu 4), 5) sowie A. B. hervor. A. B. ist 2012 verstorben. Er hinterließ die Beteiligten zu 6) und 7).

Die Erblasserin und H. B. errichteten am 16.01.1994 ein gemeinschaftliches Testament. Dieses lautet:

"Wir, die Eheleute

H. B., geb. 19.11.18 und G. B. geb. S. am 04.09.24 setzen uns mit dieser letztwilligen Verfügung gegenseitig als Erben ein mit allem was wir gemeinsam besitzen.

Im Falle eines gleichzeitigen Ablebens soll die Tochter U. S. geb. B. z. zt. wohnhaft in R., E. W.-str. bevollmächtigt im Namen aller nachstehend angeführten Erben über alle unsere Giro- und Sparkonten zu verfügen und nach Abrechnung aller angefallenen Kosten für die Bestattung das verbleibende Geld gleichmäßig an alle Geschwister aus beiden Vorehen zu verteilen. Zur Verteilung gehört auch das gesamte Haushaltsinventar. Ferner gehört den Verblichenen der Vereinsanteil der Garage Nr. 265 (Mitgliedsnummer 230) im Garagenkomplex in der S. N.-str. Es bleibt den Geschwistern überlassen, die Garage zu behalten für eigene Nutzung oder Vermietung oder Veräußerung. Ein Genossenschaftsanteil für die Wohnung in der R.-str. 23 besteht z.Zt. nicht. Er gehört der Frau M. H. geb. G., R. U. Str.

Wir wünschen nun sehr, daß nach unserem Ableben kein Streit entsteht.

Die Namen der Geschwister:

B., A. geb. 16.06.41

z. Zt. Wohnhaft R., F. L.-str.

S., U. geb. 20.05.43 geb. B.

z. Zt. Wohnhaft R., E. W.-str.

J., D. geb. 02.01.53 geb. B.

z. Zt. Wohnhaft R., K. W.-damm

V., M. geb. 19.05.50 geb. P.

z. Zt. Wohnhaft R., H.-str.

P., J. geb. 05.07.53

z. Zt. Wohnhaft R., K.-str.

P., P. geb. 12.10.54

z. Zt. Wohnhaft H., A. H."

Unter dem 11.06.2019 hat die Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach die Erblasserin von den Beteiligten zu 1) bis 3) zu je 1/3 in gesetzlicher Erbfolge beerbt worden ist.

Die Beteiligte zu 5) ist dem Erbscheinsantrag entgegengetreten. Es treffe nicht zu, dass das Testament der Eheleute B. vom 16.01.1994 keine Erbeinsetzung für den zweiten Versterbensfall enthalte. Die Eheleute hätten sich zunächst für den ersten Erbfall als Alleinerben eingesetzt. Für den zweiten Erbfall, den die Testierenden als den Fall des gleichzeitigen Ablebens bezeichnet hätten, hätten die testierenden Eheleute ihre Erben ebenfalls bestimmt. Ergänzend wird auf den Schriftsatz der Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 5) vom 01.10.2019 verwiesen. Mit Beschluss vom 17.04.2020 hat das Amtsgericht den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Wegen der Begründung der Entscheidung wird auf diese Bezug genommen.

Die Beteiligte zu 1) hat hiergegen unter dem 19.05.2020 Beschwerde eingelegt. Wegen der Begründung der Beschwerde wird auf den Schriftsatz vom 16.06.2020 Bezug genommen.

Das Amtsgericht G. hat der Beschwerde mit Beschluss vom 22.06.2020 nicht abgeholfen. Wegen der Entscheidungsgründe wird auf den Nichtabhilfebeschluss Bezug genommen.

II. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig und hat in der Sache auch Erfolg.

Den Beteiligten zu 1) bis 3) ist ein Erbschein zu erteilen, der sie a...

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