Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldverfahren: Zur Zulässigkeit der Auswertung elektronischer Messdaten einer Geschwindigkeitsüberwachung im Straßenverkehr durch ein privates Dienstleistungsunternehmen aufgrund vertraglicher Vereinbarung mit der Bußgeldbehörde

 

Leitsatz (amtlich)

Die vertraglich vereinbarte Auswertung der mit standardisierten Messverfahren bei behördlichen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen ordnungsgemäß erhobenen und bei der Verwaltungsbehörde verbliebenen Rohmessdaten durch einen privaten Dienstleister ist zulässig und führt für sich genommenen zu keinem Beweisverwertungsverbot im weiteren Bußgeldverfahren.

Hegt der Tatrichter Zweifel an einer den Vorgaben des Geräteherstellers und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt im Zuge der Zulassung des standardisierten Messverfahrens entsprechenden ordnungsgemäßen Auswertung der Messdaten durch den privaten Dienstleister, gebietet es die richterliche Aufklärungspflicht, die Richtigkeit des Auswertungsergebnisses durch andere sachverständige Stellen überprüfen zu lassen.

 

Normenkette

StPO § 244 Abs. 2, § 344 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Parchim (Entscheidung vom 01.04.2015; Aktenzeichen 126 Js 19592/14 - 5 OWi 2032/14)

 

Tenor

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des vormaligen Amtsgerichts Parchim vom 01.04.2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ludwigslust - Zweigstelle Parchim - zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Landrat des Landkreises Ludwigslust-Parchim hat gegen den Betroffenen wegen einer am 02.04.2014 begangenen fahrlässigen Überschreitung der an der innerorts gelegenen Messstelle in Groß Laasch zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um vorwerfbare 33 km/h mit Bußgeldbescheid vom 18.06.2014 die Regelgeldbuße in Höhe von 160,00 Euro sowie das einmonatige Regelfahrverbot verhängt (Ordnungswidrigkeit gem. §§ 24, 25 StVG i.V.m. § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 StVO, Nr. 11.3.6 BKatV).

Auf seinen hiergegen gerichteten Einspruch hat das Amtsgericht den Betroffenen mit Urteil vom 01.04.2015 mit der Begründung freigesprochen, die dem Verfahren zugrundeliegenden Rohmessdaten der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage seien rechtlich unzulässig von einem Privatunternehmen im Rahmen eines mit dem Landkreis abgeschlossenen Dienstleistungsvertrages ausgewertet und anschließend nur die aus den Rohdaten extrahierten Lichtbilder (Fahrzeug nebst (vergrößertem) Kennzeichen, Foto des Fahrzeugführers) und die darauf eingeblendete Datenleiste mit den Angaben zur Tatzeit, der gemessenen Geschwindigkeit und dem angewandten Messverfahren in Form einer JPEG-Datei an den Landkreis rückübermittelt und die Ausdrucke der Bilddateien dann als einziges Beweismittel in das Verfahren eingeführt worden.

Gegen das freisprechende Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde, die von der Generalstaatsanwaltschaft mit Zuschrift vom 12.10.2015 vertreten wird. Die Verteidigung des Betroffenen ist dem Rechtsmittel mit Gegenerklärung vom 28.08.2015 entgegengetreten. Zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft hat sie unter dem 29.10.2015 eine Gegenäußerung abgegeben.

II.

Die statthafte und zulässig angebrachte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat mit der erhobenen Aufklärungsrüge umfassenden Erfolg, weshalb es eines Eingehens auf die weitere Verfahrensbeanstandung und auf die ebenfalls erhobene allgemeine Sachrüge nicht bedarf.

1. Die Aufklärungsrüge genügt entgegen der Auffassung der Verteidigung noch den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Der Gesamtheit der auslegungsbedürftigen und -fähigen Rügebegründung ist zu entnehmen, dass es das Gericht zur Überzeugung der Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft unterlassen hat, durch Anforderung und erneute, ggf. sachverständige Auswertung der weiterhin beim Landkreis vorhandenen Rohdaten die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung prozessordnungsgemäß aufzuklären (Seite 5, 3. Absatz der Rechtsbeschwerdebegründung = Bl. 85 d.A.; ebenso aaO. Seite 4 f. = Bl. 84 f. d.A.), was andernfalls "sowohl auf Grundlage der konvertierten wie auch auf der Grundlage der 'Original'-Rohdaten (zu) eine(r) dem Tatvorwurf entsprechende(n) Verurteilung" des Betroffen hätte führen "können und müssen" (aaO. Seite 5. 2. Absatz = Bl. 85 d.A.).

Damit liegen sowohl eine klare Beweisbehauptung (der Betroffene habe die ihm im Bußgeldbescheid vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung so begangen) wie auch die Bezeichnung des vom Gericht fehlerhaft nicht benutzten Beweismittels (die weiterhin vorhandenen Rohdaten und deren mögliche erneute Auswertung, notfalls durch einen Sachverständigen) vor. Auch wird das Ergebnis der unterbliebenen Beweiserhebung mit der notwendigen Bestimmtheit mitgeteilt, nämlich dass dann erwiesen worden wäre, dass sich der dem Bet...

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