Verfahrensgang
LG Rostock (Beschluss vom 22.02.1994; Aktenzeichen II RRO 1179/91) |
Tenor
1. Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
2. Im Beschwerdeverfahren werden gerichtliche Kosten nicht erhoben.
Der Betroffene trägt die ihm im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen.
Tatbestand
I.
Der Betroffene ist von der Strafkammer des Militärgerichts Rostock mit Urteil vom 17.10.1974 (Az.: S 1a-112/74 MG-Ro.) wegen Fahnenflucht gemäß § 254 Abs. 1 StGB/DDR zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Er hat diese Strafe in der Zeit vom 02.09.1974 bis 01.12.1976 unter Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft voll verbüßt. Der Verurteilung lagen folgende Feststellungen zugrunde: Der Betroffene wurde am 03.05.1974 zur Ableistung des Grundwehrdienstes zur Volksmarine der DDR einberufen. Bereits am 28.07.1974 faßte er den Entschluß, seine Einheit unerlaubt zu verlassen. Am Abend dieses Tages überstieg er den Objektzaun und fuhr danach per Anhalter zu seiner Ehefrau nach N.. Die sofort eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen führten am 30.07.1974 zu seiner Festnahme und zur Rückführung zur Dienststelle in S.. Von hier aus erfolgte am 31.07.1974 die Kommandierung nach T.. In der Dienststelle T. faßte der Betroffene erneut den Entschluß, fahnenflüchtig zu werden. Er verließ am 01.08.1974 gegen 21.00 Uhr im Trainingsanzug unerlaubt das Objekt und begab sich nach R., wo er auf das Eintreffen seiner zuvor verständigten Ehefrau wartete. Am 03.08.1974 erfolgte seine Festnahme.
Der Betroffene hat wegen dieser Verurteilung seine Rehabilitierung beantragt. Die Staatsanwaltschaft Rostock hat beantragt, diesen Antrag als unbegründet zu verwerfen. Mit dem angefochtenen Beschluß vom 22.02.1994 hat die Rehabilitierungskammer den Antrag als unbegründet zurückgewiesen, weil sie die Voraussetzungen für eine Rehabilitierung nach § 1 StrRehaG nicht zu erkennen vermochte. Gegen diesen dem Betroffenen am 16.03.1994 zugestellten Beschluß richtet sich seine am 25.03.1994 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde vom 22.03.1994. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 11.05.1994 den Antrag gestellt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II.
Die gemäß § 13 Abs. 1 StrRehaG statthafte sowie fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig, sie ist jedoch in der Sache nicht begründet.
Nach der sich aus der Systematik und Wortfassung des Gesetzes (§ 1 StrRehaG) ergebenden klaren gesetzlichen Regelung besteht keine Möglichkeit, den Betroffenen zu rehabilitieren.
Nach § 1 Abs. 1 StrRehaG ist die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts im Beitrittsgebiet aus der Zeit vom 06.05.1945 bis 02.10.1990 auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben, soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verurteilung nach einer der im Katalog des Gesetzes genannten Vorschriften erfolgt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) bis i)) oder die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Der Grundtatbestand der Fahnenflucht (§ 254 Abs. 1 StGB/DDR) ist in den Regelaufhebungskatalog des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) bis i) StrRehaG nicht aufgenommen worden. Dieser Regelaufhebungskatalog ist abschließend. Der Rechtsausschuß des Bundestages hat im Zuge der Erarbeitung des StrRehaG die Fahnenflucht bewußt nicht in den Regelaufhebungskatalog einbezogen. Er hat dazu ausgeführt (vgl. hierzu den Bericht des Rechtsausschusses zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe g), BT-Drucks. 12/2820, S. 28), er sei der Ansicht, daß die Fahnenflucht „… überwiegend kein politisches Delikt gewesen ist. Sollten dennoch im Einzelfall Umstände eine andere Beurteilung nötig machen, könnte der Fall unter die allgemeine Regelung des § 1 Abs. 1 StrRehaG eingeordnet werden” (vgl. Bruns/Schröder/Tappert, Kommentar zum StrRehaG, Rdn. 111 zu § 1). Eine Verurteilung wegen Fahnenflucht im nicht erschwerten Fall kann also nur dann zur Rehabilitierung führen, wenn die Fahnenflucht aus politischen Gründen begangen wurde, also zum Beispiel aus Gründen der Gewissensnot und/oder der Ablehnung des Systems (vgl. auch Schröder in NJ 8/93, S. 382). Diese Auffassung ist stets vom Senat vertreten und in seinen Entscheidungen vom 04.02.1993 – II WsRH 4/93 –, vom 07.06.1993 – II WsRH 19/93 (NJ 1993, 327) –, vom 17.06.1993 – II WsRH 21/93 –, vom 15.08.1993 – II WsRH 38/93 – sowie vom 31.01.1994 – II WsRH 54/93 – eingehend begründet worden. Weiter ist ausgeführt worden, daß es sich bei der Fahnenflucht im nicht erschwerten Fall (§ 254 Abs. 1 StGB/DDR bzw. § 4 Abs. 1 MStG) nicht um „schlechthin rechtsstaatswidrige Gesetze” handelt. Der Senat befindet sich dabei – soweit ersichtlich – in Übereinstimmung mit der in der obergerichtlichen Rechtsprechung einmütig vertretenen Auffassung (vgl.: KG, Beschluß vom 21.12.1992 – IV Ws 129/91 REHA [VIZ 1993, 175; MDR 199...