Leitsatz (amtlich)
Verwertbarkeit von Verkehrsüberwachungsvideos zu Feststellung von Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen bei sogenanntem "aufmerksamen Messbetrieb".
Verfahrensgang
AG Ludwigslust (Entscheidung vom 13.10.2009; Aktenzeichen 1 OWi 182/09) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.
Gründe
I. Mit Urteil vom 13.10.2009 - 1 OWi 182/09 - verurteilte das Amtsgericht Ludwigslust den Betroffenen wegen fahrlässiger Abstandsunterschreitung von weniger als 3/10 des halben Tachowertes zu einer Geldbuße von 660,00 €. Hiergegen richtet sich die am 20.10.2009 bei Gericht eingegangene Rechtsbeschwerde vom selben Tage, die mit am 17.12.2009 bei Gericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet und mit Anträgen versehen worden ist.
II. Das Rechtsmittel ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 OWiG statthaft, innerhalb der Frist des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 341 Abs. 1 StPO angebracht und innerhalb der weiteren Frist des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO zumindest mit der ausgeführten Sachrüge formgerecht begründet worden, mithin zulässig. Es hat jedoch keinen Erfolg.
III. Die Nachprüfung des Urteils anhand der Beschwerdebegründung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen aufgezeigt. Die u.a. zur Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen und Überzeugungsbildung gemachten Videoaufzeichnungen des Verkehrsverstoßes unterliegen entgegen der Ansicht der Verteidigung auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 (NJW 2009, 3293) weder einem Beweiserhebungs- noch einem Beweisverwertungverbot.
1. Die dem Betroffenen angelastete Abstandsunterschreitung wurde mit einem Verkehrs-Kontroll-System VKS 3.0, bestehend u.a. aus einer "Tat-Videokamera" und zwei "Fahrer-Videokameras", jeweils mit zugehörigen Videorecordern, im sogenannten Brückenabstandsmessverfahren festgestellt. Dieses gestaltet sich nach den dazu ohne erkennbaren Rechtsfehler getroffenen Urteilsfeststellungen - auch im konkreten Fall - wie folgt:
Die Tat-Videokamera mit einer Auflösung von 0,44 Megapixeln wird am Geländer einer Brücke über der Autobahn angebracht. Zwei Fahrer-Videokameras mit jeweils sieben Megapixeln Bildauflösung stehen links und rechts der beiden Fahrstreifen in Höhe der vorbeifahrenden Fahrzeuge. Während der gesamten Dauer der Verkehrsüberwachungsmaßnahme sitzt der Messbeamte in dem Messfahrzeug vor einem Monitor, welcher das Bild der Tat-Videokamera zeigt, und beobachtet darauf den Verkehrsfluss auf einem Abschnitt von ca. 600 Metern vor der Messstelle ("aufmerksamer Messbetrieb"). Die Rekorder zur Tat-Videokamera und zu den beiden Fahrer-Videokameras sind dabei nicht eingeschaltet. Erst wenn der Messbeamte augenscheinlich den Verdacht hat, dass ein Fahrzeug einen zu geringen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug hat, schaltet er die drei Rekorder ein. Die Fahrer-Videorekorder werden nach dem Passieren des verdächtigen Fahrzeugs wieder abgeschaltet. Bei erneutem Verdacht eines Abstandsverstoßes schaltet der Messbeamte sie wieder ein. Eine Identifizierung der Fahrer sowie der Kennzeichen der die Messstelle passierenden Fahrzeuge ist nur auf den von den hochauflösenden Fahrer-Videokameras aufgezeichneten Bilder möglich, nicht hingegen auf den Bildern mit niedriger Auflösung, die von der Tat-Videokamera stammen. Diese lassen sich nach Angaben des dazu gehörten Sachverständigen mit technischen Mittel auch nicht nachträglich so aufbereiten, dass eine Fahrer- oder Kennzeichenerkennung möglich wird, weil jede Vergrößerung dieser Bilder sofort zu einer Verpixelung und damit zu Unschärfen führt.
2. Der so ausgestaltete "aufmerksame Messbetrieb" begegnet auch unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht in seinem oben genannten Beschluss zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aufgestellten Grundsätze keinen rechtlichen Bedenken. Das Amtsgericht hat zutreffend § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG als ausreichende gesetzliche Grundlage für die verfahrensgegenständlichen Videoaufzeichnungen angesehen.
a) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet die aus dem Grundsatz der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Es sichert seinen Trägern insbesondere Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten zu (vgl. BVerfGE 65, 1 [43]; 67, 100 [143]; 84, 239 [279]; 103, 21 [33]; BVerfG, NJW 2006, S. 976 [979]). Die beobachtende oder observierende Tätigkeit der Polizei kann den grundrechtlichen Schutzbereich berühren und die rechtliche Qualität von Grundrechtseingriffen gewinnen (vgl. BVerfGE 110, 33 [56]). Das...