Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu fehlenden Anschlussberechtigung eines Nebenklägers wegen nicht bestehender prozessualer Identität zwischen angeklagten Taten und dem Nebenklagedelikt
Leitsatz (amtlich)
Eine Nebenklageberechtigung besteht nur dann, wenn nach der Sachlage oder aufgrund des tatsächlichen Vorbringens des Antragstellers die Verurteilung des Angeklagten wegen des Nebenklagedelikts rechtlich möglich erscheint.
Daran fehlt es, wenn zwischen dem behaupteten Nebenklagedelikt und der angeklagten Tat keine prozessuale Identität im Sinne von § 264 StPO besteht.
Ob das Nebenklagedelikt von der zugelassenen Anklage umfasst ist oder nicht, beurteilt sich nach dem aus der Anklageschrift, in Sonderheit aus dem konkreten Anklagesatz, erkennbaren Willen der Staatsanwaltschaft, welche Taten angeklagt werden sollen und ob sich darunter auch der zum Anschluss als Nebenkläger berechtigende Lebenssachverhalt befindet. Dabei sind auch die Bezeichnung(en) der gesetzlichen Merkmale der Straftat(en) und der anzuwendenden Strafvorschriften (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) sowie die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen (§ 200 Abs. 2 StPO) als wichtige Auslegungshilfe heranzuziehen.
Normenkette
StPO § 200 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, §§ 264, 395 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Entscheidung vom 25.02.2016; Aktenzeichen 111 Js 28330/13 (136) - 60 Ks 1/15) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Nebenklägerin gegen den Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 25.02.2016 - 60 Ks 1/15 - wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten ihres Rechtsmittels einschließlich der dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Beschwerdeführerin (§ 473 Abs. 1 StPO).
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin H. W. aus Sandy Springs (USA) hat mit am 27.01.2016 beim Landgericht Neubrandenburg eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz vom 25.01.2016 ihre Zulassung als Nebenklägerin im Strafverfahren vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Neubrandenburg gegen H. Z. beantragt. Diesem wirft die Staatsanwaltschaft Schwerin mit Anklageschrift vom 23.02.2015 Beihilfe zum Mord in mindestens 3681 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen vor, indem er in der Zeit vom 15.08. bis zum 14.09.1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau durch seine Tätigkeit als Sanitäter und Angehöriger der SS-Sanitätsstaffel das arbeitsteilige Lagergeschehen als Ganzes und insbesondere den ihm bekannten Ablauf der dort vorgenommenen Massentötungen unterstützt und gefördert habe. Die Beschwerdeführerin hat zur Begründung ihres Antrags ausgeführt, sie sei im Mai 1944 mit anderen ungarischen und rumänischen jüdischen Mitbürgern aus dem Ghetto in Slatina/Rumänien in einem Viehwaggon "nach Auschwitz" transportiert worden. Unmittelbar nach ihrer Ankunft sei sie "von Teilen der Familie" getrennt worden und in eine der "im Lager befindlichen Baracken" gekommen, wo sie unter näher geschilderten unmenschlichen und entwürdigenden Bedingungen "etwa 6 Monate" habe verbringen müssen. Anschließend sei sie - wiederum in einem Viehwaggon - zur Zwangsarbeit "in die Nähe von Nürnberg" verbracht worden, wo sie am 16.04.1944 befreit worden sei.
Auf einen entsprechenden Hinweis des Kammervorsitzenden vom 18.02.2016 hat der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 25.02.2016 ergänzend mitgeteilt, diese sei in dem zum Gegenstand der Anklage gemachten Zeitraum vom 15.08. bis 14.09.1944 "in Auschwitz" gewesen. Ihre Schwester F. sei "in dem Zeitraum des Aufenthalts" ermordet worden, mithin "möglicherweise im Anklagezeitraum". "Andere Angehörige" seien "unmittelbar nach dem Ankommen des Zuges in die Gaskammern selektiert" worden. Dies sei aber schon im Mai gewesen.
Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Neubrandenburg hat mit Beschluss vom 25.02.2016 die Zulassung der Beschwerdeführerin als Nebenklägerin mit dem Hinweis darauf abgelehnt, ihr Vortrag rechtfertige nicht die Annahme, dass der Angeklagte für eine Tat verurteilt werden könnte, die sie zum Anschluss als Nebenklägerin berechtige. Der daraufhin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 08.03.2016 eingelegten Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf einzelne Abschnitte des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Schwerin ihr Vorbringen vertieft, hat die Schwurgerichtskammer ohne nähere Begründung nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Rostock hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Zur Begründung führt sie an, weder ergebe sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass die nachvollziehbar geschilderten Umstände ihrer Lagerhaft in Auschwitz die Voraussetzungen der Versuchsstrafbarkeit gemäß § 22 StGB n.F. (§ 43 RStGB a.F.) erfüllen würden, da ihre spätere Verbringung zur Zwangsarbeit in die Nähe von Nürnberg die Möglichkeit offen lasse, dass sie von vornherein zur Zwangsarbeit nach Auschwitz deportiert worden sei. Zudem sei der Vorwurf des versuchten Mordes nicht Gegenstand der Anklage. Eine Anschluss...