Leitsatz (amtlich)

Weicht ein Verweisungsbeschluss von der beinahe einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Fachliteratur zu der Auswirkung einer Verfahrensverbindung auf die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichtes ab, so entfällt dessen bindende Wirkung auf Grund von objektiver Willkür schon dann, wenn sich das verweisende Gericht mit dieser Auffassung nicht auseinandersetzt und die abweichende eigene Ansicht begründet; das Entfallen der Bindungswirkung ist nicht davon abhängig, dass eine Partei ausdrücklich auf die herrschende Meinung hingewiesen hat (entgegen OLG Hamm MDR 2013, 1307 und 2014, 1106).

 

Verfahrensgang

AG Waren (Müritz) (Aktenzeichen 108 C 620/17)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 16.05.2018; Aktenzeichen X ARZ 69/18)

 

Tenor

Das Verfahren wird dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes vorgelegt.

 

Gründe

I. Der Kläger hat gegen die beklagte Versicherung am 31.12.2015 zwei Klagen bei dem Amtsgericht ... eingereicht, die auf Leistungen aus einer Kaskoversicherung gerichtet sind; den Klagen liegen jeweils gesonderte Versicherungsfälle bezüglich verschiedener versicherter Wasserfahrzeuge zugrunde, wobei sich der begehrte Hauptforderungsbetrag in dem einem Fall auf 3.655,12 EUR und in dem anderen Fall auf 2.554,10 EUR beläuft. Das Amtsgericht ... hat die beiden zunächst in verschiedenen Abteilungen anhängigen Verfahren nach ihrer Zusammenführung in einem Dezernat aufgrund einer Abgabe wegen Sachzusammenhangs mit Beschluss vom 16.11.2016 verbunden.

In dem Termin seiner mündlichen Verhandlung vom 04.09.2017 hat das Amtsgericht ... auf eine Streitwerterhöhung in Folge der Verfahrensverbindung hingewiesen. Der Kläger hat daraufhin eine Verweisung an das Landgericht Neubrandenburg beantragt, während die Beklagte von einer Stellungnahme abgesehen hat. Mit Beschluss vom 14.09.2017 hat sich das Amtsgericht ... für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Neubrandenburg verwiesen; es hat hierzu ausgeführt, das angegangene Gericht sei infolge der Streitwerterhöhung durch Verfahrensverbindung sachlich unzuständig.

Das Landgericht Neubrandenburg hat sich durch Beschluss vom 12.10.2017 ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt, die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und dieses an das Amtsgericht zurückverwiesen. Das Landgericht Neubrandenburg war der Auffassung, der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichtes ... sei willkürlich, weil nach unumstrittener Rechtsprechung die Verfahrensverbindung gemäß § 147 ZPO wegen des in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO verankerten Grundsatzes der perpetuatio fori ohne Einfluss auf die sachliche Zuständigkeit bleibe; Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall wegen einer willkürlichen Aufspaltung des Streitgegenstandes in mehrere Teilklagen seien seitens des Amtsgerichtes nicht festgestellt und auch sonst nicht erkennbar. Der amtsgerichtliche Verweisungsbeschluss entfalte daher keine Bindungswirkung.

Nachdem das Amtsgericht ... die letztere Frage abweichend beurteilte, hat das Landgericht Neubrandenburg die Sache schließlich dem Oberlandesgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II. Das Verfahren ist dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 3 ZPO vorzulegen. Nach Auffassung des Senats ist das Amtsgericht ... als zuständiges Gericht zu bestimmen; eine dahingehende Entscheidung beruhte jedoch auf einer Abweichung in einer Rechtsfrage von den Entscheidungen eines anderen Oberlandesgerichtes.

1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind gegeben.

a. Sowohl das Amtsgericht ... als auch das Landgericht ... haben sich im Sinne der genannten Vorschrift für unzuständig erklärt; die in der Regelung erwähnte Rechtskraft ist nur im Falle einer Unzuständigkeitserklärung durch Urteil erforderlich, während es bei anderen Entscheidungen ausreicht, dass diese unanfechtbar und verbindlich sind sowie die tatsächliche beiderseitige Kompetenzleugnung aus ihnen hervorgeht (vgl. Zöller-Schultzky, ZPO, 32. Aufl., 2018, § 36 Rn. 35 m.w.N.). Das Bestimmungsverfahren wird im Anwendungsbereich von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Übrigen auch ohne Antrag einer Partei durch die Vorlage eines der an dem Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte eingeleitet (vgl. BGH, Beschluss vom 07.03.1991, Az.: I ARZ 15/91, - zitiert nach juris -, Rn. 8 m.w.N.).

b. Die grundsätzliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts ... im Bestimmungsverfahren ergibt sich aus § 36 Abs. 1 ZPO, soweit es im Verhältnis zu den konkurrierenden Gerichten das gemeinsame nächsthöhere Gericht ist (vgl. Vorwerk/Wolf-Toussaint, BeckOK ZPO, Stand: 01.12.2017, § 36 Rn. 45).

2. Das Amtsgericht ... ist sachlich zuständig.

a. Vorauszuschicken ist, dass sich dies noch nicht aus §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 1 Satz 1 BinSchVerfG, 7 KonzVO M-V ergibt, wonach das Amtsgericht ... für Binnenschiffahrtssachen im Sinne des BinSchVerfG für den Bezirk des Oberlandesgerichts zuständig ist; denn bei einem Deckungsprozess zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer a...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge