Entscheidungsstichwort (Thema)
Empfänger der Realofferte eines Versorgers
Leitsatz (amtlich)
1. Die Realofferte eines Versorgers richtet sich in erster Linie an den Grundstückseigentümer, wenn dieser die Verfügungsmacht über den Anschluss inne hat.
2. Sie kann sich auch an den Mieter richten, wenn dieser die Verfügungsmacht über den Anschluss inne hat.
3. Für den konkludenten Vertragsschluss ist es unerheblich, ob dem Energieversorger die Identität des Inhabers der Verfügungsmacht bekannt ist.
4. Den Beweis für die Person des Empfängers muss der Versorger führen.
Normenkette
BGB § 433 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Entscheidung vom 16.06.2021; Aktenzeichen 4 O 2/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 16.06.2021 abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 7.440,53 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung eines Tatbestandes sieht der Senat gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO ab.
II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die Klägerin kann nicht mit Erfolg gegenüber der Beklagten die Bezahlung von Stromlieferungen gem. § 433 Abs. 2 BGB verlangen.
Auf einen schriftlichen Stromlieferungsvertrag kann die Klägerin ihre Ansprüche nicht stützen, denn ein solcher ist zwischen den Parteien nicht geschlossen worden.
Ein die Forderung der Klägerin begründender (Kauf-) Vertrag ist auch nicht durch die konkludente Annahme einer Realofferte der Klägerin durch die Beklagte zustande gekommen.
Die Realofferte des Versorgers liegt in der Zurverfügungstellung der Energie im öffentlichen Netz. Grundsätzlich ist in dem Leistungsangebot eines Versorgungsunternehmens ein Vertragsangebot in Form einer sogenannten Realofferte zum Abschluss eines Versorgungsvertrages zu sehen, das von demjenigen konkludent angenommen wird, der aus dem Leitungsnetz des Versorgungsunternehmens Elektrizität, Gas, Wasser oder Fernwärme entnimmt (BGH, Urt. v. 15.02.2006, VIII ZR 138/05, NJW 2006, 1667 = WuM 2006, 207). Durch diesen Rechtsgrundsatz wird der Tatsache Rechnung getragen, dass in der öffentlichen leitungsgebundenen Versorgung die angebotenen Leistungen vielfach ohne ausdrücklichen schriftlichen oder mündlichen Vertragsschluss in Anspruch genommen werden. Dabei soll ein vertragsloser Zustand bei Energielieferungen vermieden werden (BGH, Urt. v. 17.03.2004, VIII ZR 95/03, NJW-RR 2004, 92; BGH, Urt. v. 15.02.2006, VIII ZR 138/05, NJW 2006, 1667 = WuM 2006, 207; BGH, Urt. v. 27.11.2019, VIII ZR 165/18, NJW-RR 2020, 201 = NZM 2020, 213 = ZMR 2020, 348).
Für die Frage, wer bei einem konkludenten Vertragsschluss durch tatsächlichen Bezug von Fernwärme, Strom oder Gas Vertragspartner des Versorgungsunternehmens wird, ist in erster Linie die Verfügungsgewalt über den Anschluss maßgeblich (BGH, Urt. v. 16.07.2003, VIII ZR 30/03, NJW 2003, 2902; BGH, Urt. v. 15.02.2006, VIII ZR 138/05, NJW 2006, 1667 = WuM 2006, 207). Die Realofferte richtet sich in der Regel typischerweise an den Grundstückseigentümer, wenn dieser auch die Verfügungsgewalt über den Stromanschluss inne hat (BGH, Beschl. v. 15.01.2008, VIII ZR 351/06, WuM 2008, 139; BGH, Urt. v. 30.04.2003, VIII ZR 279/02, WM 2003, 1730). Empfänger der Realofferte kann aber auch ein Mieter oder Pächter sein, wenn diesem die Verfügungsgewalt über die Mietsache überlassen worden ist (BGH, Urt. v. 27.11.2019, VIII ZR 165/18, NJW-RR 2020, 201 = NZM 2020, 213 = ZMR 2020, 348, m.w.N.). Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Abnahmestelle in dem Mietobjekt des Mieters befindet und von dort aus andere Mietobjekte oder Untermieter mitversorgt werden. Wird der Stromverbrauch einer in einem Mehrparteienhaus gelegenen und vermieteten Wohnung über einen Zähler erfasst, der ausschließlich dieser Wohnung zugeordnet ist, richtet sich die in der Bereitstellung von Strom liegende Realofferte des Versorgungsunternehmens regelmäßig nicht an den Hauseigentümer, sondern an den Mieter, welcher durch die seinerseits erfolgte Stromentnahme das Angebot konkludent annimmt (BGH, Urt. v. 02.07.2014, VIII ZR 316/13, BGHZ 202, 17; BGH, Urt. v. 22.07.2014, VIII ZR 313/13, BGHZ 202, 158; BGH, Urt. v. 27.11.2019, VIII ZR 165/18, NJW-RR 2020, 201 = NZM 2020, 213 = ZMR 2020, 348). Es ist unerheblich, ob dem Energieversorger die Identität des Inhabers der tatsächlichen Verfügungsgewalt bekannt ist, er also etwa weiß, dass das zu versorgende Objekt sich im Besitz eines Mieters oder Pächters befindet und dieser die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Versorgungsanschluss ausübt. Bei der Bestimmung des Angebotsadressaten kommt es somit durchaus maßgebend darauf an, wer den Strom verbraucht, da der Vertrag regelmäßig gerade mit der Person begründet werden soll, die aufgrund ihrer tatsächlichen Verfügungsgewalt in der Lage ist, die offerierte Energie auch zu entnehmen, mithin hierdurch das Angebot (konkludent)...