Leitsatz (amtlich)
1. Die Aufforderung des Auftraggebers, eine knappe 15 km lange Stahgleitwand statt nach vereinbarten 588 Tagen bereits nach einer Standzeit von 333 Tagen abzubauen, ist als freie Kündigung anzusehen. Damit steht der Auftragnehmerin neben dem Vergütungsanspruch für erbrachte Leistungen auch ein Vergütungsanspruch für die infolge der Kündigung/einvernehmlichen Vertragsaufhebung nicht erbrachten Leistungen zu, verringert um die Beträge, die die Auftragnehmerin erstens infolge der Vertragsaufhebung an Kosten erspart und/oder zweitens durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft oder ihres betriebes erworben hat oder drittens böswillig zu erwerben unterlässt.
2. Aufgrund des überwiegend mietrechtlichen Charakters der streitgegenständlichen Bauleistung ist eine Anpassung nach den Regelungen zur Vergütungsanpassung für Mehr- bzw. Mindermengen beim Einheitspreisvertrag gemäß § 2 Nr. 3 VOB/B nicht vorzunehmen.
Normenkette
BGB § 649; VOB B § 2 Nr. 3, § 8 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 29.11.2012, Az. 4 O 270/12, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 94.778,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.11.2007 zu zahlen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.935,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.05.2012 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu zahlen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin fordert als Auftragnehmerin von der beklagten Bundesrepublik Deutschland Vergütung für infolge verkürzter Bauzeit nicht erbrachte Leistungen sowie die Erstattung damit im Zusammenhang stehender vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Die Klägerin unterbreitete der Beklagten nach öffentlicher Ausschreibung am 19.07.2004 (Anl. K 1 - AB 1 ff.) ein Angebot - betreffend den grundhaften Ausbau der Bundesautobahn A 19, RF Wittstock - Rostock, km 90,80 - km 104,250 - für Leistungen der Verkehrsführung und Verkehrssicherung in Höhe von insgesamt 1.076.416,75 EUR netto (= 1.248.643,43 EUR brutto), welches entsprechend der Ausschreibung unter der Position 00.03.0024 die Leistung "Stahlgleitwand von 14.800,00 m für 588 Tage vorhalten" zu einem Einheitspreis von 1.184,00 EUR/Tag netto und dementsprechend zu einem Gesamtbetrag von 696.192,00 EUR netto (K 2 - AB 58ff, 68) beinhaltete.
In der Ausschreibung (B 1 - GA I 45) heißt es u.a.: "Frist der Ausführung: September 2004 - April 2006. Vorbehaltlich der Zuschlagserteilung des Bauhauptloses".
Die am 02.09.2004 endende Binde- und Zuschlagsfrist wurde auf Bitten der Beklagten mit Zustimmung der Klägerin insgesamt fünfmal "aufgrund der verwaltungstechnischen Bearbeitung" und wegen "Verschiebung des Hauptbauloses" verlängert. Am 30.03.2006 erteilte die Beklagte der Klägerin den Zuschlag für das verfahrensgegenständliche Teillos über 1.186.211,26 EUR brutto nach Abzug eines Nachlasses in Höhe von 5% (K 14 - AB 96f.).
Wegen der enormen Verzögerung im Vergabeverfahren hatte die Klägerin bereits im Jahr 2005 und damit vor Erteilung des Zuschlags am 30.03.2006 begonnen, die zur Ausführung vorgesehene Stahlgleitwand von 14,8 km sukzessive auf anderen Baustellen einzusetzen. Bei Zuschlagserteilung sah sich die Klägerin daher gehalten, die benötigte Stahlgleitwand bei einem Nachunternehmer anzumieten. Mit Schreiben vom 13.04.2006 (K 15 - AB 98) zeigte die Klägerin Mehrkosten infolge der verspäteten Zuschlagserteilung an, welche sie mit Nachtragsangebot N 3.1 vom 22.11.2006 auf 648.832,00 EUR netto bezifferte. Dieser Nachtrag ist Gegenstand des Parallelverfahrens 4 U 69/12.
Entgegen der Beauftragung, nämlich u.a. 14,8 km Stahlgleitwand für 588 Tage vorzuhalten, wurde die mobile Stahlgleitwand auf Weisung der Beklagten nur 333 Tage eingesetzt, da die Beklagte zum einen wegen der erheblichen Verzögerung in den Vergabeverfahren und zum anderen wegen der geforderten Fertigstellung des Autobahnteilstücks vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm die Baumaßnahme erheblich beschleunigte. Wegen der Verkürzung der Leistungszeit beanspruchte die Klägerin mit Nachtragsangebot N 4.1 vom 25.10.2007 auf Grundlage von § 2 Nr. 3 VOB/B Vergütung für den verkürzten Bauzeitraum in Höhe von 251.008,00 EUR netto (K 10 - AB 148).
Diese Position hat die Klägerin auch in ihrer Schlussrechnung vom 11.10.2007 (K 9 - 125 ff., 131) unter N 4.1 abgerechnet. Ausweislich der Schlusszahlungsmitteilung vom 20.11.2007 (K 18 - AB 107) leistete die Beklagte Schlusszahlung, jedoch unter Streichung der vorgenan...