Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageerweiterung in der Berufungsinstanz; Bürgenhaftung bei Mietvertragskündigung durch Insolvenzverwalter
Leitsatz (amtlich)
1. Auf eine Klageerweiterung nach § 264 Nr. 2 ZPO, welche auch der Wechsel von einer Feststellungs- zu einer Leistungsklage darstellt, findet § 533 ZPO keine Anwendung.
2. Hat ein Dritter eine Erfüllungsbürgschaft für die vertraglichen Ansprüche des Vermieters gegen den Mieter übernommen, haftet er im Falle der Kündigung des Insolvenzverwalters über das Vermögen des Mieters nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht für Schadensersatzansprüche des Vermieters nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO. Hat der Vermieter die Möglichkeit, durch eine fristlose Kündigung das Mietverhältnis zu beenden, bevor die Kündigungsfrist für die Kündigung des Insolvenzverwalters abgelaufen ist, werden Schadensersatzansprüche wieder auf vertragliche Grundlagen gestellt und die Haftung des Bürgen erhalten.
Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 06.07.2012; Aktenzeichen 9 O 719/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Rostock vom 06.07.2012 - 9 O 719/11 - abgeändert und die Beklagte unter Zurückweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 46.635,81 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 5.680,00 EUR ab 04.03.2011, 05.04.2011, 05.05.2011, 05.06.2011, 05.07.2011, 05.08.2011 und 05.09.2011 sowie aus 5.683,01 EUR seit dem 09.09.2014 zu zahlen.
2. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz trägt die Beklagte. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 64 % und die Beklagte zu 36 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung gegen sich jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die andere Partei Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 131.058,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Bürgschaft in Anspruch.
Die Klägerin vermietete mit Vertrag vom 27.12.2010/07.01.2011 Räumlichkeiten in einer Größe von ca. 710 qm im Geschäftshaus W. Geschäftszentrum in R. an die I. GmbH in R. Letztere ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Beklagten. Der Mietvertrag wurde für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2017 geschlossen. Monatlich waren für Miete, Verwaltungs- und Nebenkostenvorauszahlungen 7.405,30 EUR vereinbart. Die Miete in Höhe von 5.680,00 EUR war der Mieterin für Januar und Februar 2011 erlassen worden. Gemäß § 3.3 des Mietvertrages hatte die Mieterin eine Kaution in Höhe von drei Monatsmieten zu leisten. Darüber hinaus heißt es in § 3.3 des Vertrages:
"Der Mieter kann die Barkaution in Höhe von drei Monatsmieten jederzeit durch eine unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft eines deutschen Kreditinstitutes ersetzen unter Verzicht auf die Einreden der Anfechtbarkeit, der Aufrechenbarkeit und der Vorausklage (§§ 768, 770, 771 BGB). Die Bürgschaft muss unter Verzicht auf die Befreiung durch Hinterlegung auf erstes Anfordern in Anspruch genommen werden können. Bürge: Zusätzlich zu der vorgenannten Kaution bürgt der Gesellschafter des Mieters, die I. F. und M. GmbH, K. weg 1, R., für sämtliche Verpflichtungen des Mieters aus diesem Mietvertrag. Die Bürgschaftserklärung des Gesellschafters wird in Anlage 4 von diesem bestätigt und Bestandteil dieses Mietvertrags."
Die Bürgschaftserklärung der Beklagten datiert auf den 23.12.2010. Wegen des Inhalts wird auf die Anlage K2 Bezug genommen. Die unterzeichnete Bürgschaftserklärung ging bei der Klägerin am 12.01.2011 nach vorausgegangener Mahnung der Klägerin ein. Die Bürgschaftserklärung hatte der auf Seiten der Klägerin tätige Zeuge Sondermann mit dem Mietvertragsentwurf per E-Mail übersandt.
Am 08.02.2011 unterzeichneten ein Mitarbeiter der für die Klägerin tätigen Hausverwaltung und der Geschäftsführer der Mieterin ein Übergabeprotokoll, in welchem verschiedene Mängel aufgelistet sind.
Die Mieterin leistete die mit ihr vereinbarte Kaution nicht. In den Monaten Januar, Februar und März zahlte sie die Verwaltungs- und Betriebskostenvorauszahlungen. Ab April 2011 leistete sie keine Zahlungen. Mit Beschluss vom 01.06.2011 wurde über das Vermögen der Mieterin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter kündigte das Mietverhältnis zum 30.09.2011.
Mit Schreiben vom 15.04.2011 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Ansprüche aus der Bürgschaft geltend, die diese zurückwies.
Erstinstanzlich hat die Klägerin einerseits die Kaltmiete für März und andererseits für April und Mai die Miete nebst Verwaltungs- und Betriebskostenvorauszahlungen verlangt. Sie hat die Ansicht vertreten, die Bürgschaft sei wirksam. Die Bürgschaft und der Mietvertrag seien zwischen den Parteien ausgehandelt worden. Auch handele es sich bei der Bürgschaft nicht um ein für eine Vielzahl von Verträgen verwandtes Muster. Ggf. sei die Bürgschaf...