Entscheidungsstichwort (Thema)
Pandemiebedingte Mietvertragsanpassung
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB enthält nur eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters, sofern die Nichtleistung der vom Mieter geschuldeten Mietzahlung allein auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht.
2. Für öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen, Verbote oder Gebrauchshindernisse, die sich aus betriebsbezogenen Umständen ergeben oder in der Person des Mieters ihre Ursachen haben, hat der Vermieter ohne anderslautende Vereinbarung nicht einzustehen.
3. Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus.
4. Behauptet der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Gelingt ihm dies nicht, muss er sich so behandeln lassen, als hätte er die staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten.
Verfahrensgang
LG Stralsund (Aktenzeichen 6 O 86/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 03.09.2021 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.915,70 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen, §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung des von ihr begehrten rückständigen Mietzinses für Februar, März und Mai 2021 i.H.v. 11.915,70 EUR gem. § 535 Abs. 2 BGB zu.
Die Beklagte ist nicht berechtigt, den von ihr zu zahlenden Mietzins zu mindern bzw. reduziert anzupassen.
1. Ein Anspruch auf Minderung der Miete ergibt sich nicht aus Artikel 240 § 2 EGBGB.
Die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen des allgemeinen schuldrechtlichen Leistungsstörungsrechts ist nicht durch Artikel 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen (vgl. BGH, Urteil v. 12.01.2022 - XII ZR 8/21 -, juris Rn. 18). Weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus der Gesetzesbegründung lässt sich schließen, dass der Gesetzgeber mit Einführung des Art. 240 § 2 EGBGB die Folgen, die sich aus den umfangreichen hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie insbesondere für gewerbliche Mietverhältnisse ergeben können, abschließend regeln wollte (vgl. BGH, Urteil v. 12.01.2022, a.a.O., Rn. 20). Nach seinem eindeutigen Wortlaut enthält Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB vielmehr nur eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters, sofern die Nichtleistung der vom Mieter geschuldeten Mietzahlung allein auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht (vgl. BGH, Urteil v. 12.01.2022, a.a.O., Rn. 21).
2. Die Miete in dem streitgegenständlichen Zeitraum ist nicht nach § 536 Abs. 1 BGB deshalb gemindert, weil durch § 2 a) Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-LVO M-V vom 15.12.2020, die auf der Corona-Landesverordnung M-V vom 23.11.2020 beruht, ab dem 16.12.2020 sämtliche Verkaufsstellen des Einzelhandels zu schließen waren.
a) Nach der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der der Senat folgt, stellt die behördliche Untersagung der Öffnung der Filiale der Beklagten keinen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 BGB dar, da die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der Beklagten nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts beruhte. Die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpft allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch die obige Verordnung wird jedoch weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung (vgl. BGH, Urteil v. 23.11.2022 - XII ZR 96/21 -, juris Rn. 15; Urteil v. 12.01.2022, a.a.O., Rn. 28, 29, 34 m.w.N.; Urteil v. 16.02.2022 - XII ZR 17/21 -, zit. n. juris, Rn. 22; OLG Hamm, Urteil v. 19.05.2022 - 18 U 43/21 -, zit. n. juris, Rn. 29).
b) Auch lässt sich eine Mangelhaftigkeit der Mietsache nicht damit begründen, dass durch die behördliche Schließungsanordnung faktisch der Zugang zu den Mieträumlichkeiten für potentielle Kunden der Beklagten verhindert oder beschränkt gewesen ist, da die Zugangsbeeinträchtigung nicht...