Leitsatz (amtlich)
1. Die Wahl des Mahnverfahrens kann den Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch Erschleichung eines Vollstreckungstitels erst begründen, wenn sich eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung herausgebildet hat oder eine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist, woraus das Nichtbestehen des geltend gemachten Anspruchs so klar zu entnehmen ist, dass dem Anspruchsteller der Vorwurf gemacht werden muss, er habe diese gekannt oder sich der Kenntnis in schlechthin unverständlicher Weise verschlossen.
2. Die Entscheidung über die Bewilligung der PKH für die Durchführung einer auf das sittenwidrige Erschleichen eines Vollstreckungsittels gestützten Klage auf Unterlassung der Zwangsvollstreckung erfordert demnach eine rückblickende, wertende Betrachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 23.12.2004; Aktenzeichen 14 O 459/04) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 23.12.2004 wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Zutreffend hat das LG der in Aussicht genommenen Klage hinreichende Erfolgsaussicht i.S.d. § 114 Abs. 1 ZPO nicht zugebilligt.
1. Die Antragstellerin erstrebt mit ihrer beabsichtigten Klage die Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid vom 6.12.1995. Die Antragstellerin hatte am 6.3.1993 eine Bürgschaftserklärung zur Absicherung eines Geschäftsdarlehens ihres Ehemannes bei der Beklagten i.H.v. 96.500 DM abgegeben. In Höhe von 23.828,07 DM wurden mit diesem Darlehen ein bereits 1988 gewährtes Darlehen, bei dem sich die Antragstellerin als Ehegattin mitverpflichtet hatte, abgelöst. Die Antragstellerin und ihr Ehemann trennten sich 1996. Aus dieser Bürgschaft nahm die Beklagte die Klägerin in Anspruch und betrieb gegen sie das Mahnverfahren, welches schließlich zu dem Vollstreckungsbescheid vom 6.12.1995 führte. Die Antragstellerin trägt vor, sie habe in der Firma ihres vormaligen Ehemannes unentgeltlich mitgeholfen; im Wesentlichen habe sie sich aber der Betreuung ihrer drei Kinder gewidmet und sei einkommens- und vermögenslos gewesen. Sie sei deshalb durch die Bürgschaft finanziell krass überfordert und nicht im Stande gewesen auch nur die laufenden Zinsen der Hauptschuld i.H.v. monatlich etwa 1.400 DM aufzubringen.
Auch nach dem zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme veröffentlichten Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei die Bürgschaftsübernahme sittenwidrig gewesen, weshalb der Anspruch der Antragsgegnerin, wäre er im Wege der Klage geltend gemacht worden, an der gerichtlichen Schlüssigkeitsprüfung gescheitert wäre. Die Beklagte habe sich den Vollstreckungstitel unter Umgehung dieser Prüfung erschlichen. Dies rechtfertige eine Durchbrechung der Rechtskraft.
2. Das LG hat der beabsichtigten Klage die hinreichende Aussicht auf Erfolg abgesprochen. Es hat ausgeführt, der Vollstreckungsbescheid sei nicht nur der formellen, sondern auch der materiellen Rechtskraft fähig. Da die von der Antragstellerin erhobenen materiell-rechtlichen Einwendungen bereits bei der Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung vorgelegen hätten, könne hierauf eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO nicht gestützt werden. Jedoch biete § 138 BGB dem Schuldner nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung in Ausnahmefällen die Möglichkeit, sich gegen einen materiell unrichtigen Titel zur Wehr zu setzen, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, nutzte der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners aus. Eine solche Anwendung des § 826 BGB müsse jedoch auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil jede Ausdehnung das Institut der Rechtskraft aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen und den Eintritt des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in Frage stellen würde.
Zwar sei der von der Beklagten erlangte Vollstreckungstitel materiell unrichtig, da die Bürgschaft, aus der die Beklagte ihre Titelforderung herleitet, gegen § 138 BGB verstoße und deshalb nichtig sei. Die nachträgliche Kenntnis der Antragsgegnerin hiervon reiche jedoch nicht aus, den rechtskräftigen Titel als sittenwidrig erscheinen zu lassen. Es müssten vielmehr besondere Umstände hinzukommen, die die Art der Erlangung des Titels oder die Ausnutzung der Vollstreckung betreffen und es geboten erscheinen ließen, dass der Gläubiger die ihm nach materiellem Recht unverdient zugefallene Rechtsposition aufgebe.
Solche Umstände könnten vorliegen, wenn gerade die Besonderheiten des Mahnverfahrens dazu geführt hätten, dass der Gläubiger für einen materiell nicht gerechtfertigten Anspruch einen rechtskräftigen Vollstreckungstitel habe erwerben können. Bereits in der Wahl des Mahnverfahrens könne ein Umstand ...