Leitsatz (amtlich)
Hat der Aufhebung der Ehe wegen arglistiger Täuschung über eine persönliche Eigenschaft (hier: Zeugungsunfähigkeit) berechtigte Ehegatte nach Aufdeckung der Täuschung noch einige Monate mit dem anderen zusammengelebt, kann dies nicht als Bestätigung (§ 1315 BGB) gewertet werden, wenn er in dieser Zeit durchgehend, aber vergeblich versucht hat, den anderen zur Teilnahme an medizinischen Maßnahmen zur Behebung der störenden Eigenschaft zu veranlassen.
Verfahrensgang
AG Wangen (Beschluss vom 15.04.2004; Aktenzeichen 2 F 45/04) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - FamG - Wangen im Allgäu vom 15.4.2004 wie folgt abgeändert:
Der Antragstellerin wird für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... zu den Bedingungen eines am Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalts bewilligt.
Gründe
Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe hat Erfolg.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das FamG festgestellt, dass es eine grundsätzlich zur Eheaufhebung berechtigende arglistige Täuschung darstellt, wenn der Bräutigam der Braut verschweigt, dass er wegen einer durchgeführten Sterilisation nicht zeugungsfähig ist. Dies gilt jedenfalls unter den vorliegenden Umständen, unter denen nicht fernlag, dass der Wunsch nach gemeinsamen Kindern, wenn er nicht schon vorher deutlich geäußert worden war, sich bei ihr einstellen werde (keine vorherige Absprache über Kinderlosigkeit; beide Brautleute waren bei Eheschließung unter 30 Jahren; die Braut war unverheiratet und kinderlos).
Nicht zu folgen vermag der Senat der Feststellung des FamG, dass die Antragstellerin durch das Zusammenleben mit dem Antragsgegner über 9 Monate bis zur Trennung zu erkennen gegeben habe, dass sie die Ehe fortsetzen wolle (Bestätigung i.S.d. § 1315 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB), auch wenn der Wortlaut des Gesetzes diese Ansicht zu stützen scheint. § 1315 BGB trägt dem Umstand Rechnung, dass an der Aufrechterhaltung einer gelebten Ehe, die sich trotz Kenntnis des getäuschten Ehegatten vom Aufhebungsgrund als haltbar erwiesen hat, ein Interesse besteht, mag auch bei ihrer Eingehung ein Mangel vorgelegen haben, und dass sich der Ehegatte widersprüchlich verhält, der eine Aufhebung verlangt, obwohl er nach Aufdeckung der Täuschung zu erkennen gegeben hat, dass er den Mangel als nicht relevant empfindet (Johannsen/Henrich, Eherecht, 3. Aufl., § 1315 Rz. 2). Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin allenfalls zu erkennen gegeben, dass sie mit der Unaufrichtigkeit des Antragsgegners leben könnte, zugleich jedoch durchgehend deutlich gemacht, dass sie die vor der Eheschließung arglistig verschwiegene persönliche Eigenschaft des Antragsgegners (Zeugungsunfähigkeit) nicht hinzunehmen bereit ist: sie hat den Antragsgegner zu bewegen versucht, den Eingriff rückgängig zu machen, und als sie ihre Bemühungen als vergeblich erkannte, sich von ihm getrennt (wobei unerheblich ist, dass er als erster ausgezogen war; als er in die Ehewohnung zurückkehrte, zog sie aus). Zum ehelichen Verkehr kam es nach ihren unwidersprochenen Angaben nach dem 6.3.2003 nicht mehr. Unter diesen Umständen kann darin, dass sich die Antragstellerin nach dem "Geständnis" des Antragsgegners nicht stehenden Fußes von ihm getrennt hat, kein Verhalten gesehen werden, dem aus objektiver Sicht der Wille zu entnehmen ist, die Ehe ungeachtet des ihr anhaftenden Abschlussmangels nicht nur dem Bande nach, sondern als Lebensgemeinschaft aufrechtzuerhalten.
Die Rechtsverfolgung verspricht danach hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auch die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.
Fundstellen
Haufe-Index 1165514 |
NJW 2004, 2247 |
FamRZ 2005, 33 |
JurBüro 2004, 677 |
MDR 2004, 1300 |
OLGR-KS 2004, 325 |
www.judicialis.de 2004 |