Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der Führungsaufsicht kann ein Verurteilter gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB angewiesen werden, eine an die Wohnung einer bestimmten Person anknüpfende Verbotszone nicht zu betreten, wenn gerade das Zusammentreffen mit dieser Person ihm Anreiz zur Begehung von Straftaten bietet. Im Einzelfall kann die Verbotszone so bemessen sein, dass ein polizeiliches Einschreiten zur Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung dieser Person noch möglich ist, wenn mittels elektronischer Aufenthaltsüberwachung (§ 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 StGB) festgestellt wird, dass der Verurteilte die Verbotszone betritt. Die Erteilung einer solchen Weisung erfordert aber grundsätzlich konkrete Anhaltspunkte, dass eine erhebliche Gefahr für die genannten hochrangigen Rechtsgüter besteht, und darf die Lebensführung des Verurteilten unter Berücksichtigung seiner Interessen am Aufenthalt in der Verbotszone nicht unzumutbar beeinträchtigen.

2. Zu den Voraussetzungen für die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (sog. "elektronische Fußfessel") im Rahmen von Weisungen der Führungsaufsicht gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 12, Satz 3 StGB.

 

Normenkette

StGB § 68b Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 12, S. 3

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Entscheidung vom 31.03.2015; Aktenzeichen 12 StVK 2108/15)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Entscheidung über die Führungsaufsicht im Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 31. März 2015 wird als unbegründet

verworfen.

Auf die Beschwerde des Verurteilten gegen die Ausgestaltung der Führungsaufsicht im Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 31. März 2015 wird die unter Ziffer 12 des Beschlusses erteilte Weisung mit Wirkung vom 15. September 2015 wie folgt geändert:

Der Verurteilte wird angewiesen, die Fläche eines Kreises mit einem Radius von 250 m um die Gebäude M. Weg 6 in Y. und B. Straße 4 in X. nicht zu betreten und sich nicht darin aufzuhalten.

Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet

verworfen.

Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Jedoch wird die Gebühr für das Beschwerdeverfahren um ein Drittel ermäßigt. Dem Verurteilten ist ein Drittel seiner notwendigen Auslagen im Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I.

Bis 2. April 2015 verbüßte der Verurteilte eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung aus dem Urteil des Landgerichts Hechingen vom 16. Januar 2006 vollständig. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: In der Nacht zum 30. Juli 2005 fügte der Verurteilte mit Tötungsvorsatz dem Partner seiner früheren Lebensgefährtin, der mit keinem Angriff auf sein Leben gerechnet hatte, mit einem Fleischermesser eine lebensgefährliche Stichverletzung im Bereich des Oberbauchs zu. Sodann versetzte der Verurteilte seiner früheren Lebensgefährtin ohne Tötungsvorsatz zwei Stiche in den Bauch, um ihr "einen 'Denkzettel' für ihre 'Untreue' zu verpassen" (US 9). Dem Verletzten gelang es - entgegen der Erwartung des Verurteilten -, sich zu einem in der Nähe des Tatorts wohnenden Bekannten zu begeben und sich von diesem in ein Krankenhaus fahren zu lassen. Eine unverzüglich durchgeführte Notoperation rettete sein Leben. Der Verurteilte handelte zum einen aus Rache für den Verlust seiner Lebensgefährtin. Zum anderen wollte er Vergeltung wegen eines Messerangriffs des Partners seiner früheren Lebensgefährtin auf ihn im Februar 2005 üben, nachdem die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen diesen wegen nicht auszuschließender Notwehr eingestellt hatte.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen hat mit Beschluss vom 31. März 2015 festgestellt, dass nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe Führungsaufsicht eintritt. Deren Dauer hat sie auf fünf Jahre festgesetzt und durch Weisungen näher ausgestaltet. Unter anderem hat sie den Verurteilten angewiesen, "die Stadt X. sowie deren Umgebung im Umkreis von 50 Kilometern (Kreis um die Stadt X. mit der R. Straße 3 als Mittelpunkt und einem Radius von 50 Kilometern) nicht zu betreten und sich nicht darin aufzuhalten". Weiter hat sie ihm die Weisung erteilt, sich die für eine elektronische Überwachung seines Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel anlegen zu lassen, diese ständig betriebsbereit bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Zu den Weisungen führt die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss aus, die angeordnete elektronische Aufenthaltsüberwachung beruhe auf der Weisung zum Aufenthaltsverbot. Die Weisungen seien erforderlich, um die früheren Tatopfer vor weiteren Taten des Verurteilten zu schützen. Es bestehe die naheliegende Gefahr, dass der Verurteilte weitere Straftaten zum Nachteil seiner früheren Tatopfer begehen werde. Obwohl der Verurteilte in seiner Anhörung bekundet habe, dass er...

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