Leitsatz (amtlich)
Zur Erstattungsfähigkeit der Reisekosten im Kostenfestsetzungsverfahren, wenn:
a) der "Hausanwalt" am Geschäftssitz der Beklagten beauftragt wird, obwohl deren rechtliche Angelegenheiten in Teilzeit von einem Juristen betreut werden
b) und der sachbearbeitende Rechtsanwalt einer überörtlichen Anwaltssozietät angehört, die zwar nicht am Ort des Prozessgerichts, aber in einer geringeren Entfernung zu diesem mit dort postulationsfähigen Rechtsanwälten vertreten ist
c) und einer dieser Anwälte den ersten von mehreren Verhandlungsterminen wahrgenommen hat.
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2, § § 103 ff.; RVG-VV Nrn. 7003b, 7006
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Beschluss vom 01.10.2008; Aktenzeichen 4 O 47/07 Ma) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des LG Heilbronn vom 1.10.2008 - 4 O 47/07, abgeändert:
Auf Grund des rechtswirksamen Vergleichs des LG Heilbronn vom 25.6.2008 sind von der Beklagten an die Klägerin an Kosten zu erstatten: 2.096,28 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 1.7.2008.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 401,27 EUR.
Gründe
1. Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des Beklagtenvertreters von insgesamt 1.433,10 EUR, von denen die Klägerin 401,27 EUR zu tragen hätte im Hinblick auf die im gerichtlichen Vergleich vom 25.6.2008 zwischen ihnen getroffene Kostenquote von 28 % zu Lasten der Klägerin und 72 % zu Lasten der Beklagten.
Die Rechtspflegerin hat die Reisekosten als nicht erstattungsfähig abgesetzt. Wegen der hierdurch verursachten höheren Kostenbelastung mit 401,27 EUR hat die Beklagte gegen den am 6.10.2008 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss vom 1.10.2008 am 16./20.10.2008 sofortige Beschwerde eingelegt, der die Klägerin entgegengetreten ist.
Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
2. Das Rechtsmittel ist gem. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff. ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG zulässig und in der Sache begründet.
a) Die Rechtspflegerin hat zu Unrecht die für den Beklagtenvertreter in Ansatz gebrachten Reisekosten nach Nr. 7003 bis 7006 RVG-VV von insgesamt 1.433,10 EUR bei dem im Rahmen der Festsetzung vorzunehmenden Kostenausgleich unberücksichtigt gelassen.
Seit der Entscheidung des BGH vom 16.10.2002 (NJW 2003, 898; vgl. auch BGH NJW-RR 2004, 430 zum sog. "Outsourcing" sowie BGH NJW-RR 2005, 1662; BGH VersR 2006, 1089; BGH NJW 2006, 3008) ist die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftssitz der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 ZPO anzusehen.
Die Beklagte mit Geschäftssitz in Hamburg hatte ihren "Hausanwalt" mit Kanzleisitz ebenfalls in Hamburg mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt, wonach sie auch unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf die obige Rechtsprechung berechtigt war.
Auf Grund der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Jens Harting vom 26.11.2008 hat die Beklagte hinreichend glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO), dass sie nicht über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, die es ihr ermöglicht hätte, einen Rechtsanwalt am Gerichtsort umfassend zu informieren.
Denn Herr ... hat bestätigt, dass er seit 2005 die rechtlichen Angelegenheiten der Beklagten allein und lediglich in Teilzeit betreut. Angesichts seiner zeitlich gesehen beschränkten Tätigkeit könne er nur Vorarbeiten ausführen und sei gezwungen, die vorprozessuale Tätigkeit größtenteils sowie die prozessuale Bearbeitung der Fälle vollständig auf Anwälte zu übertragen.
Hierin kann nicht die Einrichtung einer eigenen Rechtsabteilung gesehen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beklagte deren Aufgaben zumindest zum Teil auf den hier als Hauptbevollmächtigten eingeschalteten Rechtsanwalt ("Outsourcing"; BGH NJW-RR 2004, 430; BGH VersR 2006, 1089) überträgt und lediglich "Vorarbeiten" selbst - durch Herrn Harting - durchführt.
Diese Organisation ist eine unternehmerische Entscheidung, die die Klägerin hinzunehmen hat (BGH NJW-RR 2004, 857; BGH NJW 2006, 3008).
Nachdem die Beklagte ihren "Hausanwalt" an ihrem Geschäftssitz beauftragt hat, kommt es wegen des bereits bestehenden Vertrauensverhältnisses nicht auf die Notwendigkeit eines persönlichen Mandantengesprächs bei der Erteilung des Prozessauftrags an (KGReport Berlin 2007, 418; BGH NJW 2006, 3008; BGH VersR 2006, 1089; BGH FamRZ 2004, 866).
Der Beklagten kann auch nicht vorgehalten werden, sie hätte zur Kostenreduzierung einen Terminsvertreter einschalten müssen (BGH NJW-RR 2005, 1662). Dies ist insbesondere vom BGH entschieden worden bei Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten mit Zugehörigkeit zu einer am Prozessgericht vertretenen oder in dessen Nähe ebenfa...