Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwangsvollstreckungssache. Pfändung/Trinkgeld. Pfändung von Arbeitseinkommen. Zusammenrechnung mit Trinkgeld
Leitsatz (amtlich)
Das von einem Kellner üblicherweise vereinnahmte „Trinkgeld” ist nicht im Wege der Forderungspfändung gegenüber dem Gastwirt pfändbar.
Normenkette
ZPO §§ 829, 850c, 850e Nr. 2
Verfahrensgang
AG Schwäbisch Gmünd (Aktenzeichen 04 M 1298/99) |
LG Ellwangen (Aktenzeichen 1 T 140/2000) |
Gründe
Aus den Gründen:
1. Die beiden Gläubiger – geschiedene Ehefrau und gemeinsamer Sohn des Schuldners – haben zur Durchsetzung ihrer titulierten Unterhaltsansprüche einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt, durch den das gesamte, auch künftig fällig werdende Arbeitseinkommen des Schuldners bei der Drittschuldnerin unter Belassung eines monatlichen pfandfreien Betrages von 1.350,– DM gepfändet worden ist. Später haben die Gläubiger u. a. beantragt, das gepfändete Arbeitseinkommen des Schuldners mit seinen Einkünften aus monatlichen Trinkgeldern i. H. von 1.166,– DM zusammenzurechnen. Die Rechtspflegerin des Vollstreckungsgerichts hat durch Beschluss gem. § 850 e Ziff. 2 ZPO angeordnet, dass das vom Schuldner bezogene Arbeitseinkommen mit seinen Einkünften aus monatlichen Trinkgeldern i. H. von 900,– DM zusammenzurechnen und der unpfändbare Teil seines Einkommens in erster Linie den Trinkgeldern zu entnehmen sei.
Auf die sofortige Beschwerde sowohl des Schuldners als auch der Drittschuldnerin hat das Landgericht die amtsgerichtliche Entscheidung dahin abgeändert, dass der Antrag auf Zusammenrechnung zurückgewiesen wird. Dagegen wenden sich die Gläubiger mit der sofortigen weiteren Beschwerde.
2. Das – zulässige – Rechtsmittel der Gläubiger hat in der Sache keinen Erfolg.
Zutreffend hat das Landgericht entschieden, dass das vom Schuldner vereinnahmte Trinkgeld, das ihm über die das Bedienungsgeld enthaltenden Inklusivpreise für Speisen und Getränke hinaus von den Gästen durch – verbreitet übliche – freiwillige Erhöhung des Zahlungsbetrages zugewandt wird, kein Arbeitseinkommen i. S. des § 850 Abs. 1, 2 ZPO ist, so dass eine Zusammenrechnung nach § 850 e Nr. 2 ZPO auscheiden muss.
Dies steht nicht nur im Einklang mit der seit Zeiten des Reichsarbeitsgerichts gefestigten Rechtsprechung der Arbeitsgerichte in Drittschuldnerverfahren (die das LAG hier fortgeführt hat), sondern ist auch – soweit ersichtlich – einhellige Auffassung in der vollstreckungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 850 Rn. 6; Musielak/Becker, ZPO 2. Aufl., § 850 Rn. 5; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 21. Aufl., § 850 Rn. 27 Fn 49; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO 3. Aufl., § 850 Rn. 62 bei Fn 126; Stöber, Forderungspfändung 12. Aufl., Rn. 900, 900 a, je m. Rspr.-Nw.; unklar: Baumbach/Hartmann, ZPO 59. Aufl., § 832 Rnn 8, § 850 Rn. 2, 6). Der Gläubiger ist insoweit auf die sog. Taschenpfändung verwiesen. Sowohl eine Forderungspfändung als auch eine Zusammenrechnung nach den sehr konkret umschriebenen Voraussetzungen des § 850 e ZPO muss schon deshalb ausscheiden, weil der Kellner diese Trinkgelder ohne Rechtsanspruch persönlich vereinnahmt, also Rechtsansprüche gegen Dritte nicht gegeben sind (vgl. auch MünchKommZPO/Smid § 850 e Rn. 14).
Die Tatsache, dass die vom Schuldner vereinnahmten Trinkgelder unterhaltsrechtlich im Hinblick auf seine Leistungspflicht berücksichtigt worden sind, rechtfertigt im vorliegenden Verfahren keine abweichende Beurteilung. Dabei ist nicht entscheidend, ob die Trinkgeldeinnahmen als „Geschenk” oder gleichwohl als „Vergütung” für die Bedienungsleistung des Kellners eingestuft werden; maßgeblich ist, dass kein Rechtsanspruch gegen Dritte zugrunde liegt. Da die Trinkgeldeinnahmen des Schuldners in ihrer Höhe nicht hinreichend sicher feststehen, würde bei Anordnung einer Zusammenrechnung, wie sie das Amtsgericht vorgenommen hat, das „Trinkgeldrisiko” unzulässigerweise auf die Drittschuldnerin verlagert.
Ob die (Unterhalts-)Gläubiger im Rahmen einer sogenannten „strengen Pfändung” nach § 850 d ZPO die Berücksichtigung der durchschnittlichen Trinkgeldbezüge des Schuldners im Rahmen eines Antrags auf Herabsetzung des ihm verbleibenden Selbstbehalts – der derzeit 1.350,– DM beträgt – erwirken und dadurch eine stärkere Harmonisierung zwischen der Unterhaltsrecht und Vollstreckungsrecht erreichen können, kann im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden. Eine entsprechende Umdeutung des beim Vollstreckungsgericht gestellten und durch die Vorinstanzen beschiedenen Gläubigerantrags im 3. Rechtszug kommt nicht in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 649944 |
InVo 2001, 453 |