Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen, nach denen die Anerkennung und Vollstreckung einer in einem EU-Mitgliedstaat erlassenen einstweiligen Anordnung unter die Art. 21 ff. Brüssel IIa VO fällt.

2. Zur Prüfung der Anerkennungshindernisse gem. Art. 23, 31 Abs. 2 Brüssel IIa VO.

3. Zur Ausübung des Ermessens durch das Beschwerdegericht im Hinblick auf eine etwaige Aussetzung des Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahrens gem. Art. 27 Abs. 1, 35 Abs. 1 Brüssel IIa VO.

 

Normenkette

Brüssel IIa VO Art. 21 Abs. 1, Art. 23-24, 26-27, 31 Abs. 2, Art. 35 Abs. 1; IntFamRVG §§ 24 ff

 

Verfahrensgang

AG Stuttgart (Beschluss vom 15.11.2013; Aktenzeichen 25 F 1677/13)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 08.04.2015; Aktenzeichen XII ZB 148/14)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des AG -Familiengericht - Stuttgart vom 15.11.2013 - 25 F 1677/13, wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses wird angeordnet.

4. Der Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung des Verfahrens wird zurückgewiesen.

5. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin ..., ratenfrei Verfahrenskostenhilfe bewilligt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind miteinander verheiratet. Aus ihrer Ehe ist das Kind ..., geboren am ..., hervorgegangen.

Die Antragstellerin hat die ungarische, der Antragsgegner die deutsche und das Kind ... hat sowohl die deutsche als auch die ungarische Staatsangehörigkeit.

Am 4.9.2013 hat das Kreisgericht Dunakezsi/Ungarn im Wege der einstweiligen Anordnung (Geschäftszeichen 1.20.19865/2012/38) das Sorgerecht für das Kind ... auf die Antragstellerin übertragen. Weiter wurde der Antragsgegner verpflichtet, das Kind ... innerhalb von zwei Tagen an die Antragstellerin heraus zu geben.

Die Antragstellerin begehrt die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des Kreisgerichts Dunakezsi.

Das AG - Familiengericht Stuttgart - hat mit Beschluss vom 15.11.2013 entschieden, dass die im Beschluss des Kreisgerichts Dunakezsi getroffene Regelung der elterlichen Sorge und die Verpflichtung des Antragsgegners, das Kind an die Mutter herauszugeben, anzuerkennen sei. Weiter hat das AG beschlossen, dass der Beschluss des Kreisgerichts Dunakezsi hinsichtlich der Herausgabeverpflichtung mit der Vollstreckungsklausel für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu versehen sei.

Gegen den ihm am 27.11.2013 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner mit am 5.12.2013 beim AG Stuttgart eingegangenem Schriftsatz, der nach Weiterleitung durch das AG am 9.12.2013 beim OLG Stuttgart eingegangen ist, Beschwerde eingelegt.

Zur Begründung seiner Beschwerde trägt der Antragsgegner vor, dass das Kreisgericht Dunakezsi gar nicht zuständig gewesen sei. Zuständig für den Sorgerechtsantrag der Antragstellerin sei das AG - Familiengericht - Leonberg gewesen, da zum Zeitpunkt der Einreichung des Sorgerechtsantrags am 22.7.2013 der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes noch in Leonberg gewesen sei.

Das Kreisgericht Dunakezsi sei auch deshalb nicht international zuständig für eine Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin gewesen, da nach Art. 10 Brüssel IIa VO bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, zuständig bleiben. Auszugehen sei in diesem Zusammenhang davon, dass das Kind ... am 17.6.2012 gegen den Willen des Antragsgegners durch die Antragstellerin nach Ungarn entführt worden sei.

Der Antragsgegner habe sich auf das Verfahren vor dem Kreisgericht Dunakezsi auch nicht eingelassen. Eine Ladung zu dem dortigen Verhandlungstermin am 29.8.2013 sei ihm nicht zugestellt worden.

Die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakezsi widerspreche der öffentlichen Ordnung Ungarns, zu der auch die Regelungen über die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Entführungsfällen gehören.

Die Entscheidung des Kreisgerichts sei auch unverhältnismäßig, weil es ausgereicht hätte, nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu regeln, ohne eine Entscheidung über das Sorgerecht insgesamt zu treffen. Im Übrigen entspreche es dem Kindeswohl, wenn das Kind bei dem Vater, der eine enge persönliche Beziehung zu dem Kind habe, verbleibe. Zu akzeptieren sei hierbei der Wille des Kindes, das sich nach dem zwischen den Eltern vereinbarten Umgang in den Sommerferien 2013 geweigert habe, zur Mutter zurückzukehren, so dass es danach beim Antragsgegner in der ehemaligen ehegemeinschaftlichen Wohnung in Leonberg geblieben sei.

Die Entscheidung des Kreisgerichts Dunakeszi könne auch gem. Art. 23 Ziff. e und f Brüssel IIa VO nicht anerkannt werden, da der Antragsgegner beim AG - Familiengericht - Leonberg den Antrag gestellt habe, ihm einstweilen das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ... zu übertragen. Jedenfalls sei bis zu einer Entscheidung des AG Leonberg das Beschwerdeverfahren ausz...

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