Leitsatz (amtlich)
Ein anderer wichtiger Grund im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO ist gegeben, wenn ein Angeklagter nicht zum Hauptverhandlungstermin erscheinen kann, weil sich die Justizvollzugsanstalt unter Einschaltung des Gesundheitsamts aufgrund einer begründeten Schutzmaßnahme zur Vermeidung der Verbreitung des Corona-Virus zur Vorführung außer Stande sieht.
Normenkette
StPO § 121 Abs. 1, § 122
Verfahrensgang
AG Waiblingen (Entscheidung vom 25.10.2020; Aktenzeichen 4 Ls 221 Js 107665/20) |
Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die weitere Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.
Gründe
I.
Der am 24. Oktober 2020 vorläufig festgenommene Angeklagte befindet sich seit 25. Oktober 2020 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Waiblingen vom 25. Oktober 2020 wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Untersuchungshaft, die in der Zeit vom 29. März 2021 bis 17. April 2021 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe unterbrochen war. Der auf Fluchtgefahr gestützte Haftbefehl legt dem Angeklagten zur Last, er habe am 24. Oktober 2020 in seiner Wohnung diverse Betäubungsmittel, nämlich rund zehn Gramm netto Cannabis, 29,71 Gramm einer kristallinen Substanz, mutmaßlich Crystal Meth oder Amphetamin, sowie 50 Gramm netto eines braunen Pulvers verwahrt, um diese nachfolgend an noch nicht näher bestimmte Abnehmer zu veräußern. Hierbei habe der Angeklagte in der Absicht gehandelt, sich aus der wiederholten Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle einigen Umfangs zu verschaffen.
Mit Anklageschrift vom 9. Februar 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen vorsätzlichen Besitzes von Munition und vorsätzlichen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Anklage zum Amtsgericht - Schöffengericht - Waiblingen. Dieses eröffnete am 10. März 2021 das Hauptverfahren, beschloss die Fortdauer der Untersuchungshaft und bestimmte Termin zur Hauptverhandlung auf 19. April 2021. Zu diesem Termin konnte der Angeklagte nicht vorgeführt werden, weil die Justizvollzugsanstalt Stuttgart wegen mehrerer auf COVID-19 positiv getesteter Gefangener und einer positiv getesteten Beschäftigten und des daraus entstandenen diffusen Infektionsgeschehens in der Justizvollzugsanstalt alle Außenkontakte, insbesondere Vorführungen, unterbrach.
Das Amtsgericht Waiblingen hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.
Der Angeklagte und seine Verteidigerin haben zur Frage der Fortdauer der Untersuchungshaft Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Verteidigerin hat mit Schriftsatz vom 4. Mai 2021 eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls angeregt, da dem Haftgrund der Fluchtgefahr insbesondere durch eine Meldeauflage und die Weisung, ab dem 17. Mai 2021 eine teilstationäre Drogentherapie, für die eine Kostenzusage vorliegt, anzutreten, begegnet werden könne.
II.
Die nach § 121 Abs. 1, § 122 StPO vorzunehmende Haftprüfung ergibt, dass die Untersuchungshaft bei dem Angeklagten über die Dauer von sechs Monaten hinaus aufrechterhalten werden darf.
1. Der Angeklagte ist nach derzeitiger Aktenlage zumindest des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG dringend verdächtig. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass alleiniger Prüfungsgegenstand des Haftprüfungsverfahrens der vorgelegte Haftbefehl des Amtsgerichts Waiblingen und damit ausschließlich der darin gegenüber dem Angeklagten erhobene Vorwurf und der darin geschilderte Lebenssachverhalt ist (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2017 - AK 63/17, juris Rn. 9; BGH, Beschluss vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, juris Rn. 8; Schultheis in Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl., § 121 Rn. 24 mwN). Aus diesem lässt sich - anders als aus dem in der Anklageschrift geschilderten Sachverhalt - die Verwirklichung eines bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht entnehmen, da in dem Haftbefehl keine Gegenstände genannt sind, auf die sich eine Verwirklichung des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG stützen ließe. Gleiches gilt für den in der Anklageschrift genannten weiteren Tatvorwurf des unerlaubten Besitzes von Munition. Nicht gebunden ist der Senat indes an die rechtliche Würdigung der Tat im Haftbefehl (BGH, aaO). Insoweit ist unter der derzeit möglichen Würdigung der Beweislage, insbesondere unter Berücksichtigung der Wirkstoffgehalte der aufgefundenen Betäubungsmittel im Wirkstoffgutachten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg vom 2. März 2021 zumindest von unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Be...