Verfahrensgang
LG Tübingen (Entscheidung vom 13.02.2015; Aktenzeichen 12 StVK 2346/15) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Tübingen vom 17. September 2015
aufgehoben.
Dem Verurteilten wird im Verfahren über seinen Antrag auf Aussetzung der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 13. Februar 2013 zur Bewährung Frau Rechtsanwältin ..... als Verteidigerin
bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Der Verurteilte verbüßt die gegen ihn vom Landgericht - Große Strafkammer - Stuttgart mit Urteil vom 13. Februar 2013 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Zweidrittel der Strafe waren am 10. September 2015 verbüßt. Das Strafende ist auf den 10. Februar 2017 notiert.
Mit Beschluss vom 17. September 2015 hat das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Tübingen den Antrag der Wahlverteidigerin, Rechtsanwältin ...., auf Beiordnung als Verteidigerin im Verfahren über die Entscheidung der Reststrafenaussetzung zur Bewährung zum Zweidritteltermin abgelehnt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 17. September 2015, der die Strafvollstreckungskammer nicht abgeholfen hat.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
1.
Eine Pflichtverteidigerbestellung kommt im Vollstreckungsverfahren gemäß § 140 Abs. 2 StPO analog in Betracht, wenn die Schwere des Vollstreckungsfalles für den Verurteilten oder die besondere Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren die Bestellung gebietet oder die Unfähigkeit des Verurteilten, sich selbst zu verteidigen, ersichtlich ist (vgl. BVerfG, NJW 2002, 2773; OLG Hamm, NStZ-RR 2008, 219). Dabei fordert das Strafvollstreckungsverfahren als Beschlussverfahren die Mitwirkung eines Verteidigers in weit geringerem Maße als das Erkenntnisverfahren (vgl. dazu BVerfG aaO). Aus diesem Grund sind im Vollstreckungsverfahren die drei abschließend genannten Merkmale des § 140 Abs. 2 StPO einschränkend zu beurteilen (OLG Hamm aaO; OLG Köln, NStZ-RR 2010, 326). Eine Beiordnung kommt daher regelmäßig nur in Ausnahmekonstellationen von besonderem Gewicht oder besonderer Komplexität, etwa bei Fragen der Überprüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, bei komplexen Strafzeitberechnungen, bei Vollstreckungshilfeverfahren oder rechtlich oder tatsächlich schwierigen oder folgenreichen Konstellationen in Betracht (Laufhütte/Willnow in KK, 7. Auflage, § 141 Rn. 11 mwN).
2.
Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, dass die Schwere des Vollstreckungsfalles angesichts der verbleibenden Reststrafe - das Strafende ist auf den 10. Februar 2017 notiert - eine Verteidigerbestellung vorliegend nicht gebietet (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2947, 2954; KG, StV 2007, 96 (verneinend) - für den Fall einer elfmonatigen Freiheitsstrafe; OLG Brandenburg, StV 2007, 95 (bejahend) - für den Fall einer Reststrafe von drei Jahren und sieben Monaten).
3.
Mit der Strafvollstreckungskammer ist der Senat auch der Ansicht, dass der Verurteilte zur eigenen Verteidigung nicht unfähig erscheint. Die im Diagnostikbericht der Justizvollzugsanstalt O. vom 11. Juni 2015 festgestellte und im Gutachten der Sachverständigen Dr. B. vom 4. September 2015 aufgegriffene kombinierte Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F61.0) mit dissozialen und narzisstischen Zügen des Verurteilten steht ersichtlich nicht seiner Fähigkeit zur Selbstverteidigung entgegen, zumal er als intelligent, unbeeinträchtigt konzentrationsfähig und mit eher überdurchschnittlichen sprachlichen Fähigkeiten beschrieben wird (Diagnostikbericht, S. 5; Gutachten Dr. B., S. 13).
Auch aus der Einholung des Gutachtens zur Kriminalprognose resultiert vorliegend keine Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung. Zwar kann die Einholung eines Prognosegutachtens über die fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten (§ 454 Abs. 2 StPO) die Beiordnung eines Pflichtverteidigers jedenfalls dann als notwendig erscheinen lassen, wenn das ihn beschwerende Gutachten psychiatrisch-neurologische, psychoanalytische oder kriminologische Fragestellungen aufwirft, mit deren fachlicher Beurteilung der Verurteilte überfordert ist, was bei einem solchen Gutachten typischerweise zu vermuten ist (OLG Naumburg, StV 2014, 493). Abzustellen ist aber insoweit auf die Verständnismöglichkeiten des konkreten Verurteilten, mag auch bei der erwähnten Art von Gutachten dessen Überforderung zunächst typischerweise zu vermuten sein (OLG Schleswig, NStZ-RR 2008, 253).
Sowohl der Diagnostikbericht vom 11. Juni 2015 als auch das Gutachten vom 4. September 2015 enthalten zwar die Darstellung testpsychologischer Zusatzuntersuchungen (PCL-R, SORAG, SVR-20, "Dittmann-Liste" im Diagnostikbericht, S. 4 sowie PPI-R, RIST im Gutachten Dr. B., S. 14 bis 16) sowie Bewertungsverfahren zur Prognose (LSI-R, Static 99-R, FOTRES im Gutachten Dr. B., S. 16 bis 18), di...