Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsbeschwerde ist über den Wortlaut des § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, wenn das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass ein früherer in derselben Sache ergangener Beschluss des Rechtsbeschwerdegerichts gegen ein Grundrecht des Antragstellers verstößt, und diesen aufgehoben, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer aber bestehen gelassen hat.
Normenkette
StVollzG § 116 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Entscheidung vom 26.02.2010; Aktenzeichen 7 StVK 87/10) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Ravensburg vom 26. Februar 2010 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Aufforderung der Justizvollzugsanstalt vom 1. Februar 2010 an den Antragsteller, den Briefumschlag mit Verteidigerpost in seiner Gegenwart zu öffnen und dem Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt den Inhalt des Umschlages zu zeigen, rechtswidrig war.
3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Antragsteller entstanden notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Der Geschäftswert, aus dem die zu entrichtende Gebühr zu berechnen ist, wird für auf 100,-- € festgesetzt.
Gründe
I. Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer ging bei der Justizvollzuganstalt am 1. Februar 2010 ein Schreiben des damaligen Verteidigers des Antragstellers ein, welches sich in einem verschlossenen Umschlag mit Sichtfenster befand. Name und Anschrift des Antragstellers waren mit Hand geschrieben; über dem Sichtfenster befand sich der Absenderstempel des Rechtsanwalts. Die Poststelle der Justizvollzugsanstalt brachte durch Rücksprache mit dem Büro des Rechtsanwalts in Erfahrung, dass es sich hierbei um Verteidigerpost handelte. Deshalb schrieb der Vollzugsbedienstete auf den Umschlag mit Bleistift "Verteidigerpost". Dies wurde jedoch dem Beamten, welcher dem Antragsteller den Brief aushändigen sollte, nicht mitgeteilt. Dieser hatte Zweifel, ob es sich tatsächlich um Verteidigerpost handelte. Deshalb forderte er den Antragsteller auf, den Briefumschlag in seiner Gegenwart zu öffnen und ihm den Inhalt des Umschlages zu zeigen. Der Antragsteller war hiermit einverstanden und kam der Aufforderung nach.
Der Gefangene beantragte bei der Strafvollstreckungskammer die Feststellung, dass diese Vorgehensweise rechtswidrig war. Sie lehnte den Antrag mit Beschluss vom 26. Februar 2010 ab, da das Schreiben des Rechtsanwalts nicht deutlich sichtbar als Verteidigerpost gekennzeichnet gewesen sei. Es hätte deshalb auch zurückgesandt werden können. Wenn der Vollzugsbeamte dem Antragsteller gleichwohl die Gelegenheit gegeben habe, in seinem Beisein den Brief zu öffnen, um eine Sichtkontrolle durchzuführen, könne dies nicht als rechtswidrig beanstandet werden. Es habe innerhalb der Dispositionsbefugnis des Antragstellers gelegen, eine solche Sichtkontrolle zu gestatten. Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Rechtsbeschwerde eingelegt, die er mit der Verletzung materiellen Rechts rügt.
Mit Beschluss vom 13. April 2010 hat der Senat die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen. Hiergegen hat der Antragsteller Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die 3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 25. Oktober 2011 festgestellt, dass der Senatsbeschluss den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG verletzt. Es hob den Beschluss auf und verwies die Sache an das Oberlandesgericht zurück.
II. Der Senat hat nunmehr erneut über die Rechtsbeschwerde des Antragstellers zu befinden, da das Bundesverfassungsgericht den Beschluss des Landgerichts bestehen ließ.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
a) Zwar liegen die in § 116 Abs. 1 StVollzG umschriebenen Voraussetzungen nicht vor.
Im Beschluss vom 13. April 2010 hat der Senat die Rechtsbeschwerde für zulässig gehalten, weil es geboten war, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Da das Bundesverfassungsgericht nunmehr in dieser Frage abschließend entschieden hat, besteht für eine Rechtsfortbildung kein Bedarf mehr.
Auch ist die Rechtsbeschwerde nicht zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Insoweit kann nur noch auf divergierende Entscheidungen im Anwendungsbereich des Justizvollzugsgesetzes des Landes Baden-Württemberg abgestellt werden. Der Gesetzgeber hat sich mit der Verlagerung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Bundesländer (Art. 72 Abs. 1, 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) bewusst für die Möglichkeit der unterschiedlichen gesetzlichen Ausgestaltung des Strafvollzuges in den einzelnen Bundesländern entschieden (OLG Hamburg OLGSt StVollzG § 116 Nr. 4). Seit dem 1. Januar 2010 gilt in Baden-Württemberg nicht mehr das materielle Strafvollzugrecht nach dem StVollzG, sondern das JVollzGB III. Es ist nicht bekannt, dass ein Gericht des Landes Baden-Württemberg zur Frage des Einverständnisses eines Strafgefangenen mit der Öffnung ...