Leitsatz (amtlich)
Psychosozialer Minderwuchs: Entzug des Sorgerechts und vollständige Trennung des Kindes von seiner Familie.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a
Verfahrensgang
AG Stuttgart-Bad Cannstatt (Aktenzeichen 2 F 490/98) |
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des AG St. – FamG – v. 23. 8. 2001 (2 F 490/98) wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.
Beschwerdewert: 7.000 DM.
Gründe
I. Die Antragstellerin greift mit ihrer Beschwerde eine Entscheidung des FamG an, mit der ihr (und dem Kindsvater) das Sorgerecht für den Sohn L. unter Anordnung von Vormundschaft zugunsten des Jugendamts E. entzogen und das Kind aus der bisherigen Pflegefamilie genommen und in einer neuen Pflegefamilie untergebracht wurde, mit der ihr (und dem Kindsvater) ein Umgangsrecht mit dem Sohn abgesprochen und mit der schließlich ihr (sowie dem Kindsvater und der bisherigen Pflegemutter) die Aufnahme jeglichen Kontakts mit dem Kind und der neuen Pflegefamilie untersagt wurde.
1. Ausgangspunkt für die familiengerichtliche Entscheidung war ein von der Kindsmutter (Antragstellerin) eingeleitetes Verfahren, mit dem sie erreichen wollte, dass ihr – abweichend von der Sorgerechtsentscheidung im Zusammenhang mit der Scheidung – das Recht der alleinigen Sorge für den Sohn L. ebenso wie für die Tochter S. zugesprochen würde. Der Sorgerechtsabänderungsantrag war mit einem Antrag gekoppelt, das Umgangsrecht des Vaters mit beiden Kindern auszuschließen. Zur Vorbereitung seiner Entscheidung über den beantragten Umgangsrechtsausschluss hatte das Gericht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Vor dessen Eingang bei Gericht – aber nach einem abschließenden Gespräch mit dem Gutachter – hatten die Eltern sich außergerichtlich darauf geeinigt, dass der Vater auf einem Umgangsrecht mit den Kindern nicht mehr besteht und einer Übertragung der alleinigen Sorge auf die Antragstellerin zustimmt. Nach Eingang des Gutachtens leitete das AG mit Blick auf dessen Ergebnis von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB – bezogen auf beide Kinder – ein. Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist eine Teilentscheidung des FamG betreffend das Kind L.; im Verfahren nach § 1666 BGB bezüglich der Tochter S. steht wegen der Notwendigkeit einer Zusatzbegutachtung eine Entscheidung noch aus.
2. Der angefochtenen Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
L. wurde am 15.5.1994 geboren, seine ältere Schwester S. am 26.2.1989. Beide Kinder lebten überwiegend in der Familie des Bruders der Antragstellerin und wurden vorwiegend von dessen Frau, ihrer Tante S., betreut und erzogen, zunächst im Sinne einer Tagespflege, später, ab 1995, als der Kindsvater im Februar wegen eines Schlaganfalls erhöhter Fürsorge durch die Antragstellerin bedurfte, durchgängig und auch nachts. S. lebt heute noch in der Obhut der Tante.
L. entwickelte sich – mit besonders augenfälliger Symptomatik ab dem Zeitpunkt der vollständigen Übersiedlung in den Haushalt der Tante Mitte 1995 – in dreierlei Hinsicht zu einem Problemkind: er litt unter einer massiven Wachstumsstörung, er zeigte Verhaltensauffälligkeiten und er zeigte signifikante Entwicklungsstörungen. Alle drei Elemente wurden von der Antragstellerin wahrgenommen. Sie suchte deswegen verschiedentlich und auch gewissenhaft ärztlichen Rat.
Wegen der Wachstums- und Gedeihstörungen wurde L. seit Anfang 1999, also im Alter von knapp 5 Jahren im O.-hospital S. stationär und ambulant untersucht. Eine von der Antragstellerin und der Tante vermutete Verdauungs- oder Stoffwechselstörung wurde dabei als Ursache für die Probleme des Kindes ausgeschlossen. Festgestellt wurden aber ständig erniedrigte Wachstumsfaktoren, ein Wachstumshormonmangel sowie ein massiv retardiertes Knochenalter.
Therapeutische Maßnahmen leitete die Antragstellerin aber zu diesem Zeitpunkt nicht ein, abgesehen davon, dass L. weiterhin Diätkost erhielt wegen einer angeblichen Pilzallergie. Wegen der auch ärztlich bescheinigten Verhaltensstörungen wurde L. in einen heilpädagogischen Kindergarten gegeben, wechselte von dort aber nach Unstimmigkeiten zwischen der Antragstellerin und Tante einerseits sowie den Erziehungskräften andererseits in einen Standardkindergarten. Wegen der Entwicklungsstörungen – insbesondere im motorischen Bereich – wurde er ab Oktober 2000 therapeutisch begleitet.
Im Mai 2000 wies der Hausarzt L. wegen der unverändert massiven Wachstumsstörung im Sinne eines nahezu völligen Stillstandes des Größenwachstums erneut zu einer zweitägigen stationären diagnostischen Behandlung in die St.-Kinderklinik ein. Die dort empfohlene Wachstumshormontherapie wurde anschließend allerdings nicht eingeleitet und stattdessen eine Alternativbehandlung (Eigenblutbehandlung und auch Bachblütentherapie) vorgezogen. Das Kind wuchs in der Folgezeit maßvoll, ohne aber Wachstumsrückstände aufzuholen.
Etwa zur gleichen Zeit wurd...