Leitsatz (amtlich)

Der Rechtsverteidigung gegen eine Schmerzensgeldklage fehlt es an der hinreichenden Erfolgsaussicht i.S. v. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO, soweit sie sich gegen ein unterhalb des denkbaren Rahmens liegendes Schmerzensgeld richtet.

 

Normenkette

ZPO § 114 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Ulm (Beschluss vom 12.12.2019; Aktenzeichen 3 O 315/19)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten Ziff. 2 wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 12.12.2019 dahin abgeändert, dass dem Beklagten Ziff. 2, soweit er sich gegen ein den Betrag von 5.000,00 EUR übersteigendes Schmerzensgeld wendet, Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten Rechtsanwälte C. E., bewilligt und das weitergehende Gesuch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird.

2. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Die Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

 

Gründe

Die entgegen der Ansicht des Klägers zulässige - gemäß § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO beträgt die Notfrist 1 Monat - sofortige Beschwerde ist überwiegend unbegründet. Das Landgericht versagte dem Beklagten Ziff. 2 allerdings zu Unrecht vollständig die begehrte Prozesskostenhilfe. Solche stünde ihm nur zur Gänze nicht zu, wenn die von ihm beabsichtigte Rechtsverteidigung auch nicht teilweise hinreichende Aussicht auf Erfolg hätte. An der nach § 114 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht fehlt es nicht, soweit der Beklagte Ziff. 2 sich gegen ein 5.000,00 EUR übersteigendes Schmerzensgeld wendet. Dem Kläger steht nicht zwingend ein Schmerzensgeld von 6.000,00 EUR zu.

Hinreichende Erfolgsaussicht verlangt Vertretbarkeit des Standpunkts der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei (Schutzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 114 Rn. 22 ff. m.w.N.). Bei der nach § 287 Abs. 1 ZPO vorzunehmenden Bemessung des Schmerzensgeldes nach § 253 Abs. 2 BGB handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Das hat zur Folge, dass die Abwägung der relevanten Umstände nicht zu einem einzig richtigen Betrag, sondern zu einem Rahmen führt, in dem das jeweils angemessene Schmerzensgeld liegt. Demgemäß ist auch im Prozesskostenhilfeverfahren, das die Hauptsache nicht vorwegnehmen darf, ein gedachter Rahmen zu bilden, in dem sich die richterliche Ermessensausübung im konkreten Fall bewegen kann. Nur soweit die Rechtsverteidigung ein unterhalb dieses Rahmens liegendes Schmerzensgeld erstrebt, hat sie keine hinreichende Erfolgsaussicht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.11.2019 - 1 BvR 2666/18, juris Rn. 15).

Die Untergrenze des Rahmens bilden hier 5.000,00 EUR. Unstreitig erlitt der Kläger durch die vom Beklagten Ziff. 1 am 25.05.2018 begangenen Körperverletzungshandlungen in Form zweier Kopfstöße ins Gesicht, für deren Folgen der Beklagte Ziff. 2 als Anstifter haftet (§§ 830 Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB), einen Jochbeinbruch, einen Jochbogenbruch, eine Orbitabodenfraktur und eine Kieferhöhlenfraktur, weswegen er 6 Tage stationär im Krankenhaus behandelt und operiert werden musste, wie sich aus den vorgelegten Attesten ergibt, und bis 31.07.2018 krankgeschrieben war.

Der Beklagte Ziff. 2 verweist ohne Erfolg darauf, dass das Amtsgericht Neuss mit Urteil vom 07.03.2003 - 81/36 C 2678/01, Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 38. Aufl. 2020, Nr. 38744, einem Schüler, der durch Faustschläge ins Gesicht eine Augenhöhlenbodenfraktur erlitten hatte und deswegen operiert und 10 Tage stationär behandelt werden musste, 2.000,00 EUR Schmerzensgeld zusprach und das Amtsgericht Norden mit Urteil vom 27.10.2000 - 5 C 720/99, Hacks/Wellner/Häcker a.a.O. Nr. 37724, einem Mann, der durch einen Faustschlag ins Gesicht Frakturen der Orbitawand, des Orbitabodens und der Kieferhöhlenwand erlitt, weswegen er operiert und 3 Tage stationär behandelt werden musste, unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/6 2.500,00 DM. Im Fall des AG Neuss ging es um eine Tat unter Schülern und einen einzigen Bruch. Im Fall des AG Norden wurden die unproblematisch abheilenden Verletzungen durch einen einzigen Faustschlag nach unmittelbar vorangegangener verbaler Auseinandersetzung verursacht. Zudem vernachlässigte das Amtsgericht Norden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wegen der erfolgten strafrechtlichen Verurteilung des Täters in Verkennung der Rechtsprechung des BGH (vgl. etwa Urteil vom 29.11.1994 - VI ZR 93/94, BGHZ 128, 117) die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes.

Einen Vergleichs- und Orientierungsmaßstab bilden das Urteil des OLG Saarbrücken vom 10.08.2011 - 5 U 56/10, Hacks/Wellner/Häcker a.a.O. Nr. 38822, mit welchem einem Mann 7.000,00 EUR Schmerzensgeld zugesprochen wurden, der durch einen Faustschlag ins Gesicht einen Unterkieferbruch erlitt, weswegen er mit der Folge einer verbleibenden, aber nicht entstellenden Narbe zweimal operiert, 5 Tage stationär und anschließend ambulant behandelt werden musste und 3 Wochen krankgeschrieben war, das Urteil des LG Köln vom 27.04.2018 - 22 O 444/13, BeckRS 2018, 9509, mit welchem einem Ma...

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