Leitsatz (amtlich)
1. Eine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch unterliegt nicht dem Anwaltszwang, wenn das Ablehnungsgesuch in einem Prozesskostenhilfeverfahren angebracht worden ist.
2. Eine Besorgnis der Befangenheit liegt vor, wenn der abgelehnte Richter über ein von der Beklagtenseite wegen bislang unterbliebener Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag gestelltes Befangenheitsgesuch selbst entscheidet, noch am selben Tag den Prozesskostenhilfeantrag zurückweist und in einem vor Zustellung dieser Entscheidungen stattfindenden Termin gegen die Beklagtenseite Versäumnisurteil erlässt.
Normenkette
ZPO § 42 Abs. 1-2, § 44 Abs. 3, § 78 Abs. 3, § 569 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Beschluss vom 27.12.2023; Aktenzeichen 1 O 7/23) |
Tenor
1. Auf die sofortigen Beschwerden der Beklagten und ihres Geschäftsführers, des beabsichtigten Streithelfers, wird der Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 27.12.2023, Az. 1 O 7/23, teilweise abgeändert:
Die Befangenheitsgesuche vom 08.04.2023, 11.04.2023 und 19.05.2023 betreffend Richter X1 und das Befangenheitsgesuch vom 19.05.2023 betreffend Richter am Landgericht X2 werden für begründet erklärt.
2. Soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Befangenheitsgesuche betreffend Vizepräsident des Landgerichts X3 richten, werden die sofortigen Beschwerden als (zwischenzeitlich) unzulässig verworfen.
3. Eine Gebühr nach Nr. 1812 KV-GKG wird nicht erhoben (Nr. 1812 Abs. 2 KV-GKG).
Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO analog).
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte in dem zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren (Wo 1 O 7/23) vor dem Landgericht Heilbronn aus einem im Jahr 1994 mit der Beklagten als Bauträgerin geschlossenen Kaufvertrag auf Auflassung und Bewilligung seiner Eintragung als Eigentümer einer Eigentumswohnung in E. in Anspruch, hilfsweise Zug um Zug gegen Zahlung eines Restkaufpreisbetrags in Höhe von 10.438,33 EUR (vgl. Klageschrift vom 09.01.2023, eA-LG Bl. 1 ff.).
Nachdem die Klageschrift und die Ladung zu dem ursprünglich auf den 10.02.2023 angesetzten Gütetermin und frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung der Beklagten nicht innerhalb der Ladungsfrist des § 274 Abs. 3 Satz 2 ZPO zugestellt worden waren, verlegte der zunächst als Berichterstatter für das Verfahren zuständige Richter X4 mit Verfügung vom 01.02.2023 den Termin von Amts wegen auf den 24.03.2023. Mit Schreiben vom 07.02.2023 rügte die Beklagte die bisherige Verfahrensweise sowie formale Mängel der Klageschrift und lehnte Richter X4 wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Des Weiteren beantragten sie sowie ihr Alleingesellschafter und Geschäftsführer L. - jeweils einzeln für sich (Letzterer für eine beabsichtigte Nebenintervention) - die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Weitere Ausführungen, auch zur Hauptsache und zum bisherigen Verfahren, erfolgten mit Schreiben vom 08.02., 17.02., 20.02. und 22.02.2023 (unter Übersendung eines Entwurfs für eine "Interventionsklage (Nebenintervention)" des Geschäftsführers und Alleingesellschafters der Beklagten).
Mit Verfügung des Vizepräsidenten des Landgerichts X3 (zugleich Vorsitzender der 1. Zivilkammer) vom 02.03.2023 gab dieser der Klägerseite Gelegenheit zur Stellungnahme zu den vorausgegangenen Schreiben der Beklagtenseite und des beabsichtigten Streithelfers bis zum 14.03.2023, erinnerte die Beklagte an den bei Landgerichten herrschenden Anwaltszwang und wies in Bezug auf den Befangenheitsantrag der Beklagtenseite darauf hin, dass Richter X4 wegen eines Dienststellenwechsels nicht mehr der 1. Zivilkammer angehöre und für den Rechtsstreit jetzt Richter X1 zuständig sei. Die Klägerseite nahm mit Schriftsatz vom 14.03.2023 Stellung.
In zwei Schreiben vom 17.03.2023 (vorab per Telefax zugegangen am 17. und 18.03.2023) lehnte die Beklagte die Mitglieder der 1. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn, Vizepräsident des Landgerichts X3, Richter X1 und (mit gesondertem Schreiben) Richter am Landgericht X2, jeweils wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Mit Beschluss vom 20.03.2023 wies die 1. Zivilkammer des Landgerichts in der Besetzung der drei abgelehnten Richter die Ablehnungsgesuche als unzulässig und rechtsmissbräuchlich zurück. Ebenfalls mit Beschluss vom 20.03.2023 übertrug die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 348a Abs. 1 ZPO auf Richter X1 als Einzelrichter, welcher mit jeweils gesonderten Beschlüssen vom 20.03.2023 sowohl den Antrag der Beklagten als auch den Antrag ihres Alleingesellschafters und Geschäftsführers L. auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnte. Die Beschlüsse vom 20.03.2023 wurden der Beklagten und ihrem Geschäftsführer am 28.03.2023 zugestellt.
Zu dem Termin am 24.03.2023 war für die Beklagte niemand erschienen. Das Landgericht erließ im Termin ein Versäumnisurteil, zugestellt am 21.04.2023, mit dem die Beklagte verurteilt wurde, die streitgegenständliche Eigentumswohnung an den Kläger nach Maßgabe des § 4 Abs. 4, 5 und 6 des der Klage als Anlage 1 beigef...