Leitsatz (amtlich)
›Das Erstverbüßerprivileg des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB gilt auch für einen Verurteilten, bei dem die Summe der in unmittelbarem Anschluss aneinander zu vollstreckender Freiheitsstrafen zwei Jahre übersteigt.‹
Verfahrensgang
LG Ulm (Aktenzeichen StVK 254/00 b) |
Gründe
Der Beschwerdeführer hatte am 23. Juni 2000 die Hälfte von Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr, einem Jahr und neun Monaten sowie weiteren neun Monaten verbüßt; die zuletzt genannte Strafe wurde zuerst, die übrigen wurden im Anschluss daran teilweise vollstreckt. Diese Strafen waren unter Einbeziehung einer in einem früheren Urteil verhängten Bewährungsstrafe und durch Strafbefehl festgesetzten Geldstrafen durch Urteil des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 11. September 1997 verhängt worden. Vor der (Teil-)Verbüßung dieser Strafen hatte sich der Beschwerdeführer noch nie im Strafvollzug befunden.
Die Strafkammer hat mit dem angefochtenen Beschluss deshalb die bedingte Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt abgelehnt, weil besondere Umstände nicht vorlägen.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat Erfolg.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Strafreste zur Bewährung liegen schon gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB vor, weshalb es auf das Vorliegen besonderer Umstände nicht ankommt.
Die Prognose für den Beschwerdeführer ist günstig, wovon sowohl die Vollzugsanstalt wie auch die Strafvollstreckungskammer ausgegangen sind; er ist schuldeinsichtig und hat sich im Strafvollzug gut geführt; seine Arbeitsleistung als Freigänger mit freiem Beschäftigungsverhältnis wird als sehr gut eingeschätzt; die Entlassungsbedingungen erscheinen nicht ungünstig.
Auch die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung sind erfüllt:
a) Der Beschwerdeführer ist auch bezüglich der an zweiter und dritter Stelle vollstreckten Strafen so genannter Erstverbüßer im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB, denn die Frage, ob ein Straftäter "erstmals" Freiheitsstrafe verbüßt, beurteilt sich nach der Lebenswirklichkeit und nicht nach vollstreckungsrechtlicher Bewertung, die von der grundsätzlichen Selbständigkeit mehrerer nicht gesamtstrafenfähiger Freiheitsstrafen ausgeht (in der obergerichtlichen Rechtsprechung inzwischen herrschende Meinung; vgl. Lackner/Kühl Rdnr. 16 zu § 57 m. w. N.). Die der Regelung zugrunde liegende Erwägung des Gesetzgebers, dass derjenige, der sich erstmals im Strafvollzug befindet, diesen in aller Regel "am spürbarsten empfinden wird", trifft auch auf die Fälle der Anschlussvollstreckung zu. Die Verbüßung mehrerer Freiheitsstrafen im unmittelbaren Anschluss, die zu langer Strafhaft führen kann, wird den Verurteilten sogar besonders empfindlich treffen.
b) Keine der zu verbüßenden Gesamtfreiheitsstrafen übersteigt die Zwei-Jahres-Grenze; eine Addition der im Anschluss vollstreckten Freiheitsstrafen findet nicht statt. Soweit der Senat zu dieser Frage zuletzt eine andere Auffassung vertreten hat (Beschluss vom 07. Juni 1996 - 2 Ws 109/96), hält er hieran nicht mehr fest.
Die Frage, ob sich bei mehreren, im Anschluss vollstreckten Strafen die Zwei-Jahres-Zeitgrenze des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB nach der Höhe der einzelnen Strafe oder aber nach der Summe der Strafen bemisst, ist seit langer Zeit umstritten. Eine einheitliche Auffassung hat sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht herausgebildet; bislang auch nicht zwischen den einzelnen Strafsenaten des Oberlandesgerichts Stuttgart.
Die Vertreter der Auffassung, die das Erstverbüßerprivileg einem Verurteilten versagen wollen, bei dem die Summe der im Anschluss aneinander vollstreckten Freiheitsstrafen zwei Jahre übersteigt, halten dies bei Anwendung der so genannten erweiterten Erstverbüßerregelung für konsequent; ungerechtfertigte Privilegierungen als Folge von Zufälligkeiten des Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahrens würden so vermieden (vgl. im Einzelnen OLG Stuttgart [1. SS], MDR 88, 879; OLG Karlsruhe, Die Justiz 87, 319).
Die diese Lösung ablehnende Gegenmeinung verweist auf den Grundsatz der vollstreckungsrechtlichen Selbständigkeit mehrerer nicht gesamtstrafenfähiger Freiheitsstrafen. Sie hält es nicht für zulässig, in Abweichung von diesem Grundsatz bei der Bestimmung der Zwei-Jahres-Grenze die Einzelfreiheitsstrafen zu addieren; vereinzelt auftretende Fälle von Ungleichbehandlung bzw. von Privilegierungen rechtfertigten dies nicht (OLG Stuttgart [3. SS] NStZ 1988, 128; OLG München, MDR 88, 601; OLG Zweibrücken, MDR 88, 983; OLG Düsseldorf, StV 90, 271; OLG Stuttgart [4. SS] für den Fall der Anschlussvollstreckung von Jugendstrafe, Justiz 87, 436).
Der Senat schließt sich bei Abwägung der von beiden Seiten ins Feld geführten Gesichtspunkte - auch im Interesse der Vereinheitlichung der Rechtsprechung - der zuletzt genannten Auffassung an. Sie ist mit dem Gesetzeswortlaut, der extensiver Auslegung Grenzen setzt, besser vereinbar. Die Auffassung, die bei Bemessung der gesetzlichen Obergrenze von zwei Jahren auf die Summe d...